8 MILE
Muss i denn zum Städele hinaus!

von Dietmar Kesten
GELSENKIRCHEN  Januar 2003

01/03
 
 
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Deutschland sucht  den Superstar. Auf RTL kann man z. Zt. bewundern, dass die Vernünftigen aussterben. Und selbst die härteste Keule des Spotts reicht nicht aus, um diese  trostlose Situation der Medienwelten zu beschreiben. Im Fernsehen proben die Selbstdarsteller ihr Inneres erbrechen, und stellen sich und ihren Trieb zur Schau, sperren ihre Gedanken in diesen Kommunikationskäfig, und sind kaum noch dazu in der Lage, diese Kunstwelt von der Realität zu unterscheiden. Im Fernsehen befinden sie sich in allerbester Gesellschaft mit  der Gedankenwelt der Vergangenheit; denn auch diese lebt von der Zerstreuung, von der Verzweifelung, der Zertrümmerung der Gefühle, und dem Gespür, dass die Gegenwart verloren geht,  und sich in einer unsicheren Zukunft niederschlägt. 

Das Kino ist nun das getreue Abbild des Fernsehens. In der Verstrickung von Illusion und Lebensfilm zelebriert es seine blinde Herrschaft, und diese kulturelle Veränderung lässt erkennen, dass sich das Leben selbst allmählich zu einem eigenen Medium entwickelt, und dass wir dabei sind, gleichzeitig Darsteller und Publikum in einer grossartigen, fortlaufenden  Show zu werden, die jeden Tag die Selbstzerstörung des Individuums probt.

Die Verwandlung des Lebens in Unterhaltung und Verkauf füllt die Köpfe nicht nur mit scheinbaren Vorbildern, sondern auch mit einem Zustand des Rausches: das pure unterhaltsame Spiel als Exhibition! Wie sehr sich doch Fernsehen und Kino gleichen! 

Jetzt macht sich auch in Amerika der HipHop-Superstar Eminem auf, mit seinem ersten Spielfilm, den er in die Kinos bringt, in diesem ‚Amüsierbetrieb’ (Adorno) Fuss zu fassen, um die alte Weisheit der Politiker in die Hirne zu hämmern, dass sich die Identifikation mit dem Publikum bestens für’s Geschäft verkaufen lässt. Diese ‚Bodenständigkeit’, falls damit Eminems Auftreten  angemessen gewürdigt ist, erscheint als probates Mittel, dem Film eine ethische Rückendeckung für (s)einen abgelieferten Schwachsinn zu geben. 

8 Mile soll das Glaubwürdigkeitsgefühl der millionenschweren  Plattenverträge, die zu Eminem gehören wie seine wundersame Herkunft aus dem Armenviertel, und die ihm Vergleiche mit  Elvis einbringen (etwa Thomas Gross in ‚Die Zeit’ vom 23. 12. 2002: ‚Eminem auf Elvis Spuren’ oder etwa Andreas Hartmann in der ‚Jungle World’ vom 24. 12. 2002: ‚Eminem ist also auf dem Weg, der HipHop Elvis zu werden’), stärken. Was dabei herausgekommen ist, ist eine komische Mixtur aus Lebensveranstaltung und Gesellschaftskritik, aus HipHop-Monopoly und billigen Ghettostrassen, deren Mythen eigentlich überwunden schienen.  Doch Hollywood Regisseur Curtis HANSEN (L.A. Confidential) entdeckt  sie neu, steckt Eminem in ein Videoclip-Kostüm und versucht so die Kultur des Mainstreams wiederzubeleben. 

Das Musikgeschäft hängt an dieser Chiffre, an dem Symbol für  alles Mögliche, das man verloren haben kann und sucht (z. B.die Kindheit im Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen), oder den Sinn, Sinn des Lebens, Selbstverwirklichung, Erfüllung. Die Message ist immer gleich: ein Verarbeitungsmuster für Trauer, Einsamkeit, Liebe, und schliesslich die Vollendung des Meisters im Finale, hier in der Musik. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Der Held, der verlorene Sohn, der Raum, den der Rapper betritt, ist seine Gang, seine Familie, und die Traumkarriere des  All-American-Boy, der auf einmal geläutert erscheint, und sein negatives Image als Szenen-Rabauke schnell einmal aufpoliert. Er verweigert den Joint, warnt vor Waffenbesitz im Waffenvernarrten Amerika und begegnet Homosexuellen und Frauen mit nachdrücklichem  Respekt, was im eklatanten Widerspruch zu seinen Songs steht. Aber der Filmbranche ist das egal. 

Sie lassen ihre Helden im Gleichschritt die degenerierte kulturelle Wüste durchschreiten, um am Ende im ungeheuerlichen Markterfolg die Fratze ihrer ‚Vergötzung des Daseienden’ (Adorno) zu offenbaren. Könnte das Illusionstheater jemals etwas anderes hervorbringen als trübe Identität?

Die bürgerliche Verlogenheit, die in 8 Mile einmal mehr den ‚Wert’ des  Künstlers und seine Karriere steigern wird, ist im Kino tausendmal erfolgreich geprobt: aus einfachen Verhältnissen kommend, entsteigt man mit Bildern pittoresken Elends dem Chaos, schlägt sich durch, und am Ende siegen die guten Charaktereigenschaften. Der Glaube an das Gute, das offenbart das Kino, entdeckt man in den charismatischen Persönlichkeiten, die sich mir nichts, dir nichts verwandeln, und die Demarkationslinie der Verwahrlosung, konkurrierender Gangs und einer undurchsichtigen lokalen Musikindustrie mit einem Quantensprung hinter sich lassen: ‚A Star is born’.

Eminem gleicht hier dem Pseudo-Leben von Elvis Presley und  seiner Künstlichkeit, die ihn umgab, als sein Stern sank. Kluge Schachzüge seiner Manager verhalfen ihm, in der  Popularitätsskala einen vordersten Platz einzunehmen, und sie  sahen in der Beständigkeit seiner Publicity, die einzige Chance, seine künstlerische Identität zu bewahren. Mit einem Herz- und Schmerz Song (der aus dem November 1961 datierte Song ‚Cant help Falling in Love’ markiert die eigentliche Wende von Elvis. Der ‚König’ des Rock’n Roll verwandelt sich in  einen Schnulzensänger), den sie ihm auf’s Auge drückten,  versuchten sie verzweifelt, seine Authentizität zu bewahren. Doch es gab nichts mehr zu retten. 

Elvis landete von 1962-1969 nicht einen einzigen Top-Hit, und seine Mini-Soap-Opera ‚In the Ghetto’ ( April 1969) war nicht mehr, als der Versuch einer Anpassung und Versöhnung mit  Plattenfirmen und Fernsehshows, die die ‚Tin Pan Alley’ Ära  irgendwie wiederzubeleben versuchten. In dem immer gnadenloser werdenden Musikgeschäft war  jedoch sein Verfall vorprogrammiert, und er hielt sich nur noch mit seiner Vergangenheit, die ihn einst berühmt machte, über Wasser. 

Sein ‚Ghetto-Credo’ ist das der heutigen Rapper, die über  MTV und Viva die Charts und Musikkanäle beherrschen. Sie besitzen eigene Plattenfirmen, haben erfolgreiche  Management-Agenturen, Sportartikel-Unternehmen, sind in der Modebranche eine feste Grösse: Erfolg als Sublimation. Während im Kino öffentliche Lebensfilme mit Prominenten  in der Hauptrolle laufen, gibt es im täglichen Leben Milliarden von persönlichen Lebensfilmen, die nicht auf die andere Seite der Scheibe wechseln können. Insofern ist die Selbstdarstellung Emimens nichts anderes  als eine breite Palette sich endlos wiederholender Gesten, evozierenden Posen und pathetischen Gesichtsausdrücken, die niemanden besonders tangieren können. Die Sucht zu dominieren, ist eine unheilbare Krankheit. Das macht seine Nähe zur RTL-Gemeinde aus. Deutschland sucht den Superstar. Eminem schickt sich in den USA an, ihn zu verkörpern, scheitert  jedoch gänzlich bei dem Versuch, die abstrakten Wunschbilder gegen pragmatische Hoffnungen einzutauschen. 

‚Was, wenn die Welt  eine Art – Show wäre? Was, wenn wir alle nur Talente wären...? Die grosse Show des Lebens! Jeder ein Schauspieler! Was, wenn Unterhaltung der Sinn des Lebens wäre!’ (Philip Roth) 

 Anmerkung:

8 Mile läuft seit dem 2.1.2003 in den Kinos.
Regie: Curtis
HANSON '
Musik: Eminem
Darsteller: Eminem als Jimmy ‚Rabbit’ Smith jr. Omar Benson Miller als Sol George Evan Jones als Cheddar Bob Kim Basinger als Stephanie De’ Angelo Wilson als DJ Iz
Brittany Murphy als Alex

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

Vor einem neuen Irak Krieg?
Die Mythen-Verkitschung Tokiens beglückt Millionen
Führer EX
Der Budenzauber der Astrologie
The One - Im Banne der Paralleluniversen
Der Staat, (D)ein unbekanntes Wesen
Intoleranz und den alltäglichen Rassismus
Songwriter zum 11. September 2001
When We Were Kings Hollywood und der Krieg

Dietmar Kesten schrieb früher regelmäßig für den trend und Partisan.net. Hier eine Auswahl aus seinen bisherigen Veröffentlichungen:

ASPEKTE DER ENDZEITLICHEN KRISENPHILOSOPHIE

Das "Bündnis für Arbeit" Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

Kommentare & Exkurse zum Kosovo-Krieg 1999