Editorial
Maifestspiele

von Karl Mueller

06/09

trend
onlinezeitung


Hamburg 30.4.2009

Vadim Riga resümiert zurecht in seinem Artikel "Bereit für stürmische Zeiten?": "Das Klassenbewusstsein des Proletariats entspringt nicht dem Mangel. Daher bleibt jede Kritik des Mangels so mangelhaft, wie die Kritik des Überflusses überflüssig bleibt. Das Selbstbewusstsein des Proletariats ersteht in der Auseinandersetzung - durch Selbsttätigkeit und Selbstreflektion."

Auch dieses Jahr war der 1. Mai wieder geprägt von staatlicher Militanz gegen sozialrevolutionäre Demos (siehe Berichte vom 1. Mai 2009 in der 5/09). Trotz unterschiedlicher Polizeitaktiken ( Frontalangriff mittels Wasserwerfer oder Einzelzugriff Marke "ausgestreckte Hand") das Vorgehen der Polizei zielte überall und immer auf Kriminalisierung ab, um anschließend die sozialrevolutionären Kräfte nicht nur der Klassenjustiz sondern vor allen auch der  Diffamierung durch die bürgerliche Presse zuführen zu können.

Angesichts dieser sich seit Jahren wiederholenden Konfliktkonstellation gab es in Berlin Kräfte, die unter den gegenwärtigen tief greifenden ökonomischen und politischen Krisenerscheinungen versuchten, sozialrevolutionäre Kräfte und linke GewerkschafterInnen mithilfe einer gemeinsamen  Aktion am 1. Mai zusammenzubringen. Dieser an sich positive Ansatz verkam zu einem hinter der DGB-Demo laufenden Appendix von 400 Leuten, dessen Parolen sich höchstens nur rhetorisch von denen des DGB unterschieden. Es war einfach nur peinlich zu erleben, wie am Potsdamer Platz vor der Bürohauskulisse der Konzerne flanierende Touristen per Lauti aufgefordert wurden, sich in den antikapitalistischen Block einzureihen.

Nimmt mensch Rigas Kriterium zur Beurteilung, ob bei der Entwicklung von Klassenbewußtsein am 1. Mai Fortschritte zu verzeichnen waren, so sieht es zumindest im Hinblick auf eine dafür immer dringlicher erscheinende Selbstreflektion eher mau aus.

So hebt die Aktivistin der Revolutionären Perspektive Berlin  über den Antikap-Block bei der vormittäglichen DGB-Demo in der Nachbereitung 1.Mai in Berlin vom Medienkollektiv Larissa Reissner besonders hervor: "Die Stimmung im Block war kämpferisch, es wurden viele Parolen gerufen und das Ende des Schmusekurses der Gewerkschaftsspitze mit dem Kapital gefordert." Schlussendlich ist es einfach nur jämmerlich von der Aktivistin über die Kreuzberger so genannte revolutionäre Mai-Demo als Fazit zu lesen: "Die revolutionäre 1.-Mai-Demonstration hatte einen sehr offensiven und kämpferischen Charakter. Auch im Vorfeld haben sich mehr Gruppen an der Vorbereitung der Demonstration beteiligt, so dass mehr Lautsprecherwagen und inhaltliche Schwerpunkte auf der Demonstration vorhanden waren als die Jahre davor."

Nicht zwischen Lage-, Klassen- und revolutionärem Bewußtsein unterscheiden zu können, ist zu allererst ein Indiz für fehlende theoretische Grundlagen. Dem entspricht, sich am Unmittelbaren der sinnlichen Erfahrung zu orientieren, einem ein Wesenszug der obigen Berliner Mai-Nachbereitung: "Die Auseinandersetzungen mit der Polizei am Kottbusser Tor und in der Adalbert- und Oranienstraße, die bis in die Nacht hinein andauerten, wurden zu großem Teil dann nicht mehr, wie auf der Demonstrationen, von linken Aktivisten getragen, sondern mehr von Betrunkenen und Myfest-BesucherInnen. Diese Auseinandersetzungen zeigen aber auch eindeutig, dass auch Leute, die nicht auf eine Demonstrationen gehen, große Wut haben, die sich immer wieder am 1. Mai gegen die Polizei entlädt."

Die so genannte Politik der 1.Person, jene bekannte autonome Metapher zur Rechtfertigung eines Politikverständnisses der Propaganda der Tat, wird unter solchen theoretischen Mangelerscheinungen gern für revolutionäre Politik gehalten. Von daher bleibt der Aktivistin der Revolutionären Perspektive Berlin auch verborgen, dass sowohl DGB-Demo als auch Kreuzberger Maifestspiele nur Ausdruck des je spezifischen Lagebewußtseins sind, welches jetzt unter den Krisenbedingungen seine Schnittstellen zeigt. Dies hat aber mit Klassenbewußtsein erstmal rein gar nichts zu tun hat.

Wenn dann unsere Aktivistin  dennoch zu Recht feststellt:  "Denn es ist, wie bereits gesagt, dringend notwendig, die Trennung zwischen den Kämpfen an der ökonomischen Basis und den Kämpfen der Linken auf den verschiedenen politischen und sozialen Feldern aufzuheben." dann keimt Hoffnung auf, dass es den revolutionären Kräften gelingt, in den kommenden Debatten um eine (erste selbständige, nicht dem DGB nachtrabende) klassenkämpferische 1. Mai-Demo 2010, eine sozialrevolutionäre Programmatik zu verankern, die sich nicht in erster Linie aus dem Bauch sondern aus dem Kopf ableitet, d. h. in der Lage ist, das Projekt einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus ohne Ausbeutung und Unterdrückung so zu formulieren, dass es sich mit den aktuellen materiellen Interessen der werktätigen Massen verbindet.

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Sozialrevolutionäre Emanzipation ist ohne Einsicht in die vom Kapitalismus geprägten Verhältnisse nicht zu haben. Das ist die  Botschaft unserer Onlinezeitung, seit es sie gibt. Und tatsächlich gelingt es uns, das eine oder andere Mal dafür Aufmerksamkeit zu erzeugen. So jedenfalls wie das bisherige Echo auf die Veranstaltung mit Robert Schlosser zeigt. Die Plätze werden knapp und persönliche Anmeldung sollte alsbald erfolgen.

trend-Gespräch am
Samstag, den 13. Juni 2009,
15.00 - 18.00 Uhr im Stadtteil- & Infoladen LUNTE, Weisestr. 53, 12049 Berlin

Robert Schlosser
Der drohende Zusammenbruch der Kapital- akkumulation stellt die Systemfrage
Vortrag mit Diskussion

Persönliche  Anmeldung erbeten!

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Am 15.- 19. Juni 2009 wird es bundesweit zu einem "Bildungsstreik" kommen, zu dem wir gewissermaßen auch aufrufen, indem wir die Werbung dazu auf unsere Titelseite gestellt haben. Sie befindet sich unter der Rubrik  "Schülerknast". Warum dort? Wo liegen die Gemeinsamkeiten zwischen der für Berlin-Neukölln geplanten Aussonderung "bildungsferner" Jugendlicher aus migrantischen Zusammenhängen in ein Erziehungsinternat und den im Bildungsstreik angesprochenen Missständen?

"Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise wird im staatlichen Bildungssystem an allen Ecken und Enden gekürzt. Umso stärker müssen wir SchülerInnen und Studierende uns jetzt dagegen wehren!" heißt es im "Bildungsstreik"-Aufruf und u.a. werden folgende Forderungen erhoben: "Nein zu Überwachung und Kontrolle! Weg mit „Schüler­Innendateien“ und Anwesenheitslisten!" " Nein zur sozialen Selektion! Weg mit dem mehrgliedrigen Schulsystem! Weg mit Bachelor und Master!" Schließlich gipfelt der Protest in der Parole: "Gegen die Privatisierung der Bildung!"

So richtig es ist gegen Sparmassnahmen und strukturelle Aussonderungen durch ein  mehrgliedriges Schul- und Hochschulwesen zu protestieren, so gefährlich ist es, wenn gleichzeitig damit affirmativ die bundesdeutsche Staatsschule unterstützt wird, indem rein plakativ der "Privatisierung" von Bildung entgegen getreten wird. Denn eine Staatsschule, die ihre Legitimation aus sich selber heraus, das heißt in letzter Konsequenz  aus ihrem Herrschafts- und Machtanspruch ableitet, ist keine verteidigenswerte Einrichtung. Das haben wir in der letzten Ausgabe versucht mit dem Programm der kommunistischen Kinderorganisationen zu zeigen. Und sie ist auch deshalb keine, weil sie vom strukturellen Rassismus geprägt ist, wie das Neuköllner Schülerknastprojekt deutlich macht, das in diesem Juni eröffnet werden soll.

Wenn sich SchülerInnen aus ihrer unmittelbaren Betroffenheit heraus zusammenschließen, um gegen die Missstände der Schule anzukämpfen, die ihrerseits nur die gesellschaftlichen Ungleichheiten verlängert und dabei rechtfertigt, dann müssen diese SchülerInnen mit öffentlichen Diffamierungen rechnen. Das ist nicht nur heute so, sondern das hat Tradition. Und genau das wollen wir mit dem Artikel Schüler rennen gegen eine Mauer von Tabus aus dem Jahre 1967 zeigen.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten* Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom Mai 2009, in Klammern 2008, 2007

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