TREND-Thema: Stadtumbau


Norderstedt: Vertreibung durch Pütz Security

von Ralf Hering

09/10

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Unter dem Deckmantel der Sicherheit vertreibt in Norderstedt-Mitte die Pütz Security - offizieller Kooperationspartner der Polizei - “unliebsame Personen“. “Abschrecken und verdrängen“ heißt die Devise. Parteiübergreifend wird die Beendigung des Projektes gefordert, weil sich dieses “police private partnerschip“ (ppp) als rechtswidrig entpuppt. Auch die Notwendigkeit dieser Sicherheitsbemühungen wird in Frage gestellt: “Es gibt kaum konkrete Vorfälle oder Straftaten“, gibt die Stadt Norderstedt offen zu. Ungeachtet dessen denkt man beim Sicherheitsunternehmen Pütz Security laut über eine zeitliche und räumliche Ausweitung dieses Einsatzes nach.
 
“Abschrecken und Verdrängen“

titelt das Hamburger Abendblatt vom 14.08.10. Laut diesem Zeitungsbericht soll dem Sicherheitsunternehmen Pütz Security das Hausrecht für den Bahnhofsbereich in Norderstedt Mitte übertagen worden sein. Öffentlicher Auftraggeber ist die Stadt Norderstedt. Der private Sicherheitsdienst (zwei Wachmänner m. Hund) darf auch Platzverweise aussprechen, so heißt es.

Nur, wo endet eigentlich der örtliche Zuständigkeitsbereich von Pütz Security? In dem o.g. Zeitungsartikel ist hierzu folgendes zu lesen: (...)“Als sie die Security-Leute entdecken, werden sie unruhig. Die meisten packen die Bierdosen ein und verdrücken sich auf eine Wiese über der Tiefgarage der Stadtwerke. ’Das ist die reine Verdrängung des Problems, das ist uns schon bewusst. Es wird nicht lange gehen, dann kommen die Beschwerden, dass auf der Wiese zu viel Müll herumliegt. Dann müssen wir sie wieder verscheuchen, aber irgendwo müssen sie eben stehen’, sagt Markus. Verscheuchen, verdrängen, Präsenz zeigen. Das sind die Hauptaufgaben der beiden Sicherheitsleute. Nach nur einer Woche im Einsatz ist die Szene rund um den Bahnhof in Norderstedt-Mitte in Bewegung geraten. Es ist ungemütlich geworden.“(...)

Bisher zum Thema erschienen:

Siehe auch die Infopartisan-Linkseite: Reaktionäres von "Rot-Rot"

Parteiübergreifend ist man sich bei SPD, GALiN und Die Linke einig, dass Pütz Security rechtswidrig handelt, wenn sie die Leute außerhalb des Bahnhofsgeländes angeht. Bereits Streifengänge im öffentlichen Raum stellen hoheitliches Handeln dar, welches einer Rechtsgrundlage bedarf. Diese existiert jedoch für den privaten Sicherheitsdienst nicht. Schon häufiger haben die Innenministerien der Länder in ihren Schreiben an Städte und Gemeinden auf diesen Punkt hingewiesen (Stichworte: Gewaltmonopol, Art. 33 Abs. 4 GG).

Mit großem Erstaunen werden die Abendblatt-Leser auch folgendes Zitat zur Kenntnis genommen haben: (...)„Wir nähern uns einer Gruppe von Jugendlichen, die es sich auf den Wartesesseln an der Bushaltestelle bequem gemacht hat. Die Halbstarken warten auf alles Mögliche, nicht aber auf den Bus. Markus sagt, er habe sich umgehört in der Szene. Jetzt weiß er genau, mit wem er es zu tun hat. Einer der Jungs auf den Sesseln sei ein polizeibekannter Dealer, der immer das Messer in der Tasche habe. Mit Vorsicht zu genießen.“(...)
Aus welcher “Szene“ Pütz Security seine Informationen über die Jugendlichen bezieht, bleiben die Pütz-Angestellten der Zeitung und ihren Lesern schuldig.

Binnen kürzester Zeit stellt sich der Einsatz des privaten Sicherheitsdienstes in Norderstedt-Mitte ganz anders dar als ursprünglich gedacht:

1. Es geht bei diesem “police private partnership“-Projekt mehr um (öffentliche) Ordnung als um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger – dem eigentlichen Beauftragungsgrund von Pütz Security.

2. Der örtliche Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsunternehmens erstreckt sich über den Bahnhofsbereich hinaus, in den öffentlichen Raum der Stadt Norderstedt. Örtliche Zuständigkeitsgrenzen sind nicht erkennbar!

3. “Verdrängen und verscheuchen“ von unliebsamen Personengruppen entwickelt sich in Norderstedt Mitte zur Hauptaufgabe von Pütz Security, wie offen zu lesen ist.

Mit “beobachten, erkennen und melden“ (Grundgedanke von ppp) durch den “Juniorpartner“ der Polizei hat die Arbeitsweise des Sicherheitsunternehmens Pütz Security nichts mehr zu tun. Hier wird rechtswidrig in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen – und zwar in aller Öffentlichkeit.
Geradezu perfide ist, dass die Steuerzahler dieses sinnlose “Vertreibungsprojekt“ finanzieren müssen. Bei Pütz Security denkt man derweil schon laut über eine Ausweitung dieses Einsatzes nach: (...)“Wir bekommen gute Resonanz von den Leuten, viel Zuspruch und Lob“, sagt Markus. Aus seiner Sicht sollten die Stadt, die Verkehrsgesellschaften und die Geschäftsleute in Norderstedt-Mitte dafür sorgen, dass dauerhaft Streifen um den Bahnhof gelaufen werden, um langfristig für Ruhe zu sorgen. ’Am besten noch ausgeweitet bis zum Rewe-Markt an der Ecke zur Ulzburger Straße, da stehen die Alkoholiker auch herum, weil der Markt bis 22 Uhr geöffnet hat’, sagt Markus.“, ist im Abendblatt zu lesen.

Die Kriminalitätslage in Norderstedt Mitte

Zur Kriminalitätslage in Norderstedt Mitte erklärt Hauke Borchard für die Stadt Norderstedt im Hamburger Abendblatt vom 11.08.10: (...)“’Im Vergleich zu U-Bahnhöfen im weiteren Umfeld, etwa in Hamburg-Langenhorn ist die Situation aus Sicht der Polizei in Norderstedt nicht besorgniserregend. Hauke Borchardt: ’Möglicherweise wird am Ende des Einsatzes auch heraus kommen, dass alles nur halb so schlimm ist.’ (...) Aktenkundig ist bei der Polizei nur wenig. ’Es gibt kaum konkrete Vorfälle oder Straftaten’, sagt Borchardt.“(...)

“SPD, GALiN, DIE LINKE gegen ’Billig-Polizei’

Die drei Parteien möchten nun die “Notbremse“ für das Projekt ziehen, bevor dieses wohlmöglich noch ausgeweitet wird. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 18.08.10 heißt es hierzu: “SPD, GALiN, DIE LINKE gegen ’Billig-Polizei’. Der Einsatz eines privaten Sicherheitsdienstes im Umfeld des U-Bahnhofes Norderstedt-Mitte sorgt für erhebliche Diskussionen bei den Norderstedter Parteien. Die Vorsitzenden der SPD, der Partei DIE LINKE und der Wählergemeinschaft GALiN kritisieren das Vorgehen des Kriminalpräventiven Rates und fordern die Kontrolle des Bahnhofsumfeldes in die alleinige Zuständigkeit der Norderstedter Polizei zu geben.“(...)

“Sicherheitswildwuchs“ durch police private partnerships

Das Norderstedter Vertreibungsprojekt zeigt anschaulich, dass kommerzielle Sicherheitsdienste nichts im öffentlichen Raum zu suchen haben. Die öffentliche Beauftragung von Pütz Security und die Partnerschaft mit der Polizei schützen die Bürgerinnen und Bürger nicht vor dem rechtswidrigen Agieren des Sicherheitsunternehmens – das Gegenteil ist der Fall.

Pütz Security möchte sich diesen lukrativen, öffentlichen Auftrag dauerhaft sichern und nach Möglichkeit ausbauen. Der Übereifer den das Sicherheitsunternehmen dabei an den Tag legt ist Teil dieser Strategie. Gut vorstellbar, dass der Auftrageber des privaten Sicherheitsdienstes, die Stadt Norderstedt, zusätzliche Vorgaben hinsichtlich der öffentlichen Ordnung in Norderstedt-Mitte macht. Auffällig bei der Auftragsumsetzung ist, das die Pütz Security bei ihrer Arbeit im öffentlichen Raum ihr ganz eigenes Ordnungsrecht durchsetzt. Und gerade hierbei wird deutlich: Je geringer der soziale Status der Bürgerinnen und Bürger ist, desto schneller überschreiten private Sicherheitsdienste ihre eigenen - eng gesteckten - Grenzen. Widerspruch gegen einen Platzverweis ist hier übrigens nicht möglich, da es sich bei der Pütz Security nicht um Amtsträger bzw. Verwaltungsangestellte handelt. Beschwerden an das Ordnungsamt der Stadt Norderstedt oder an die Polizei machen bekanntlich wenig Sinn; sie sind Teil dieses Sicherheitsverbundes.
Es wird sich zeigen, ob in Norderstedt auch künftig ein unkontrollierter privater Sicherheitsdienst Menschen im öffentlichen Raum vertreiben darf oder ob die Politik oder die Mittelbehörden diesem “Wildwuchs“ Einhalt gebieten.


Textquellen:

“Weg mit den Schwarzen Sheriffs“ (Hamburger Abendblatt, 20.08.10)
Abschrecken und verdrängen (Hamburger Abendblatt, 14.08.10)
Eine Streife gegen die Unsicherheit (Hamburger Abendblatt, 10.08.10)
Pütz und die Polizei sind Partner (Hamburger Abendblatt, 06.06.06)
SPD, GALiN, die Linke: Gemeinsam gegen “Billig-Polizei“ (Infoarchiv Norderstedt, 18.08.10)
http://www.infoarchiv-norderstedt.org/dataview.action?categoryId=news&articleId=1282133546173

Weitere Informationen zum Thema:

Die private Stadtpolizei...
http://de.indymedia.org/2010/05/281971.shtml
Staat und Sicherheitswirtschaft
Gemeinsam gegen das Gewaltmonopol der Bundesrepublik
http://www.trend.infopartisan.net/trd1204/t021204.html

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.