Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Katze ist aus dem Sack (Teil 1)
Arbeitsrechts-„Reform“ unter Emmanuel Macron.

9/2017

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STAND: 1. September 17

Die Kapitalverbände erklären sich zufrieden. Unter den Gewerkschaftsverbänden gewinnt die Führung des Dachverbands FO - Force Ouvrière – den Wettbewerb um den Titel des größten Speichelleckers (Schlürf! Kriech!). Die Dachverbände CFDT und FO, und ein paar andere, werden sich nicht an den angekündigten Protesten am 12. September 17 beteiligen, zu denen die CGT sowie Solidaires aufrufen. Sozialprotest ist angekündigt; dürfte jedoch aufgrund der Situation in der gewerkschaftlichen Landschaft, aufgrund der Niederlage von 2016 und auch aufgrund des Agierens von Jean-Luc Mélenchon kaum Durchsetzungschancen aufweisen

Macrons Reform: Kommt der Widerstand?“ Unter diesen Titel stellt sogar die nicht eben zur radikalen Linken zählende, EU-Themen behandelnde Internetzeitung eurotopics ihren Beitrag zu den Ankündigungen der französischen Regierung vom gestrigen 31. August 17. (Vgl. http://www.eurotopics.net )

 Diese betreffen die, seit längerem für dieses Datum angekündigte, Vorstellung der Inhalte der erwarteten „Reform“ im Arbeitsrecht. Letztere soll das so genannte „Arbeitsgesetz“, das am 08. August 2016 nach der Unterschrift des damaligen Staatspräsidenten François Hollande (und nach monatelangen heftigen sozialen Kämpfen) in Kraft trat, vervollständigen.

Verschiebungen

Insbesondere soll es Bestimmungen, deren Durchsetzung damals scheiterte, doch noch einführen. Das Kernstück ist dabei die – künftig für die Arbeitsgerichte verbindlich werdende – Deckelung der Abfindungszahlungen im Falle einer „ungerechtfertigen“, also rechtswidrigen, Kündigung. Bislang war diese Abfindung zunächst durch die Arbeitsgerichte in Abhängigkeit vom Ausmaß des Schadens für den oder die betroffene/n Lohnabängige/n festgelegt worden (unter Berücksichtigung u.a. der Schwierigkeiten, erneut einen halbwegs vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden, sowie der Schwere des Unrechtscharakters im Verhalten des Arbeitgebers); dabei kam es zu Abweichungen in einer Größenordnung in etwa von Eins zu Drei. Seit dem Inkrafttreten des „Arbeitsgesetzes“ vom 08.08.2016 sorgte dieses dafür, dass es bereits damals zum Einziehen einer Obergrenze für solche Abfindungszahlungen kamen. Diese stellte jedoch, gemäß der letzten Fassung des Gesetzes von 2016 (und anders als im Vorentwurf vom 17. Februar 16, in welchem sie ebenfalls verbindlich ausfiel) einen Richtwert für die Arbeitsgerichte, jedoch keine fest verbindliche Grenze vor. Nunmehr wird sie verpflichtend vorgeschrieben werden.

Ebenfalls „bereinigt“ wurde eine andere Bestimmung im „Arbeitsgesetz“ von 2016, welche infolge der zahlreichen inneren und äußern Konflikte – im damaligen sozialdemokratischen Regierungslager und auf den Straßen – im Laufe der Gesetzesdebatte abgeändert und abgeschwächt worden war. Ursprünglich sollte bereits das damalige „Arbeitsgesetz“ klarstellen, dass im Falle eines multinationalen Unternehmens/Konzerns, das oder der in Frankreich Lohnabhängige beschäftigt, dieses/r im Falle betriebsbedingter Kündigungen nur die wirtschaftliche und finanzielle Situation seiner Filiale in Frankreich darlegen muss. Geht es also anderen „Ablegern“ des multinationalen Unternehmens/Konzerns in Nachbarländern wie bspw. Belgien blendend, ja hat die Direktion/Konzernzentrale lediglich Geldmittel und Investitionen zwischen ihren verschiedenen nationalen Filialen verschoben – um etwa eine von ihnen als gewerkschaftlich „infiziert“ finanziell „auszutrocknen“-, so soll dies die französische Arbeitsgerichtsbarkeit nichts angehen. 2016 scheiterte die Umsetzung dieses Vorhabens jedoch noch, die Gesetzespassage dazu wurde verwässert. Nun erfolgt sie mit den neuen Bestimmungen dennoch.

Inhaltlich verteilen sich die künftigen Bestimmungen, die nun durch die Regierung vorgelegt wurden und am 22. September 17 im Kabinett beschlossen worden sollen – um kurzfristig danach in Kraft treten zu können – auf fünf Verordnungen oder ordonnances. Es handelt sich dabei um Texte, die durch die Exekutive ausgearbeitet wurden und deren Inhalt nicht im Parlament debattiert wurden oder werden. Dennoch werden diese Verordnungen Gesetzeskraft aufweisen, da die Regierung auf das Rechtsinstrument der ordonnances zurückgriff, welche genau dies erlaubt. Es erfordert die Verabschiedung eines „Ermächtigungs“- respektive „Befähigungsgesetzes“ durch das Parlament, welche der Regierung grundsätzlich das Recht dazu (auf einem konkreten Regelungsgebiet) erteilt – es wurde am 13. Juli d.J. durch die Nationalversammlung angenommen -, die Ausarbeitung der Verordnungen sowie am Schluss die Verabschiedung eines generellen Annahme-Gesetzes. Letzteres steht nun noch aus, dürfte jedoch bereits in den Tagen nach der Kabinettssitzung vom 22. September 17 ins Parlament eingereicht werden. Das Inkrafttreten der Verordnungen mit Gesetzeskraft wird kurz danach erfolgen können.

Inhaltlich handelt es sich um fünf Texte, deren Inhalt insgesamt 150 Seiten umfasst und hier im Original eingelesen werden kann:

1.: http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/08/ordonnance_1_-_31_08_2017.pdf

2.: http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/08/ordonnance_2_-_31_08_2017.pdf

3.: http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/08/ordonnance_3_-_31_08_2017.pdf

4.: http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/08/ordonnance_4_-_31_08_2017.pdf

5.: http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/08/ordonnance_5_-_31_08_2017.pdf


Inhalte

In der Kürze der seit gestern punkt Mittag – dem Zeitpunkt der Vorstellung der „Reform“inhalte – verstrichenen Zeit war uns eine inhaltliche Analyse möglich, die hier jedoch nur kurz vorgestellt werden kann. Es seien folgende „Highlights“ herausgestrichen:

  • Bei Kündigungen gilt künftig die verbindliche Obergrenze von Abfindungs-/Entschädigungszahlungen für ungerechtfertigte, d.h. rechtswidrige Kündigungen. Diese greift jedoch nicht in Fällen nachweisbarer gesetzeswidriger Diskriminierung oder bei Kündigungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsfällen/Mutterschaft.

Diese Obergrenze ist gestaffelt und beginnt bei drei Monatslöhnen bei bis zu zweijähriger Betriebzugehörigkeit (anciennté); danach erfolgt eine Anhebung bis auf zwanzig Monatslöhne bei dreißigjähriger Betriebszugehörigkeit. Bislang bestand – vor dem „Arbeitsgesetz“ von 2016 – keinerlei Ober-, sondern eine gesetzliche Untergrenze. Diese betrug mindestens sechs Monate ab zweijähriger Betriebszugehörigkeit; darunter legten die Arbeitsgerichte eine „angemessene“ Entschädigung fest.

Auch künftig soll es eine Untergrenze geben.; diese liegt allerdings bei nur 14 Tagen (Lohnzahlung) in kleinen und mittleren Unternehmen, und bei eine Monat darüber.

Als „Zuckerl“ wird im Gegenzug die gesetzliche Abfindungszahlung, die bei „wirtschaftlich begründeten“ (d.h. bei betriebsbedingten) Entlassungen fällig wird, um 25 Prozent angehoben. Dabei handelt es sich allerdings wirklich um Kleinkram, ja Pippifax. Die gesetzlich vorgeschriebene Abfindungszahlung in diesen Fällen beträgt ein Zehntel eines Monatslohns (vor 2001 war es noch ein zwanzigstel Monatslohn) pro Jahr verstrichener Betriebszugehörigkeit. Also bspw. einen Monatslohn nach zehnjähriger Zugehörigkeit zum Unternehmen.

* Zusätzlich, und dies war nicht zuvor angekündigt, wird die Anfechtungsfrist – also die Frist für das Einreichen einer Kündigungsschutzklage – für ALLE Entlassungen von bislang zwei Jahren auf nun noch ein Jahr verkürzt. (Vor einem Gesetz vom 14. Juni 2013 war es noch möglich, bis zu fünf Jahren nach einer Kündigung die Arbeitsgerichte anzurufen.)

Vorsicht -, in Deutschland klingt das nach einem sehr langen Zeitraum. Doch dieser Eindruck täuscht vollkommen. Denn in Deutschland (wo eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen zu erheben ist) lautet das Ziel des Verfahrens, über die Rückkehr in den Job zu entscheiden. Dies ist in Frankreich durch die Gesetzgebung im Prinzip ohnehin ausgeschlossen. Im französischen Arbeitsrecht geht es von vornherein nur und ausschließlich um finanzielle Abfindung. In diesem Zusammenhang sind längere Anfechtungsfristen dann von erheblichem Vorteil, da sie u.a. gekündigten Lohnabhängigen erlauben, „in Ruhe“ eventuelle Zeugenaussagen von bisherigen Arbeitskolleg/inn/en einzuholen – welche vielleicht erst dann ihren Zeugenbericht abliefern, wenn sie selbst dem Unternehmen nicht länger angehören, sondern inzwischen anderswo arbeiten oder verrentet wurden.

  • Auf Unternehmensebene können künftig zu einer Reihe von Themen (zusätzlich zu den bisher dafür vorgesehenen) Vereinbarungen getroffen werden, die von den Branchenkollektivverträgen – oder deutsch „Flächentarifverträgen“ abweichen.

  • Dies gilt insbesondere für die Arbeitszeit, die heraufgesetzt werden kann, sowie für die Lohnpolitik. Und dabei insbesondere für variable Vergütungsbestandteile (außerhalb des Grundlohns) wie Prämien, um diese ihrerseits herunter- oder in besonders erfolgreichen Unternehmen auch mal heraufzusetzen; Letzteres war gemäß dem „Günstigkeitsprinzip“ (französisch principe de faveur) allerdings schon immer möglich. Denn auf für die Beschäftigten günstige Weise durfte der Unternehmens- schon immer vom Flächentarifvertrag abweichen. Nur eben bislang nicht auf für Lohnabhängige Ungünstige Weise.

Voraussetzung für eine solche Abweichung im „ungünstigen“ Sinne auf Unternehmensebene wird dabei künftig sein, dass die Unternehmensvereinbarung durch Gewerkschaftsvertreter abgeschlossen wird, deren Organisationen mindestens 50 Prozent der Stimmen bei Wahlen im Unternehmen repräsentieren. (Dies ist in Frankreich ansonsten keine generelle Gültigkeitserfordernis: Um ein Abkommen rechtsgültig werden zu lassen, genügen ansonsten in der Mehrzahl der Fälle bereits 30 Prozent.)

Gilt es, durch eine Vereinbarung im Unternehmen zentrale Regeln wie die zur Dauer und Verteilung der Arbeitszeit oder (generell) zum Lohn abzuändern – also auch für die Lohnabhängigen ungünstige Weise -, „wenn dies zum Funktionieren des Unternehmens, zum Erhalt oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen erforderlich ist“ (vgl. auch http://www.ifrap.org/emploi-et-politiques-sociales/des-ordonnances-du-bon-mais-pas-encore-un-big-bang-au-service-de ). Eine ausgesprochen vage Formulierung. Bislang waren solche faktische Verzichts-Abkommen auf Unternehmensebene bereits möglich – auf der Grundlage der Rechtsprechung sowie in jüngerer Zeit durch das „Gesetz zur Beschäftigungssicherung“ vom 14. Juni 2013, unter François Hollande verabschiedet -, allerdings unter viel engeren Voraussetzungen. Erforderlich war dabei, dass Arbeitsplätze wirklich nachweisbar akut bedroht waren. Eine weitere Bresche schlug allerdings bereits das „Arbeitsgesetz“ vom 08.08.2016, das die „Schaffung“ von Arbeitsplätzen neben den Erhalt von bedrohten Arbeitsstellen rückte. Nunmehr werden bisherige Riegel endgültig aufgesprengt, so scheint es.

  • In Unternehmen mit bis zu fünfzig Lohnabhängigen soll der Arbeit„geber“ künftig mit nicht gewerkschaftlich organisierten Ansprechsparter/inne/n verhandeln können. Und zwar in Unternehmen mit bis zu zwanzig abhängig Beschäftigten mit einem/r Lohnabhängigen, der oder die weder „gewählt“ noch gewerkschaftsgebunden ist. Und zwischen 21 und 50 Lohnabhängigen mit gewählten Vertrauensleuten (délégués du personnel), die jedoch nicht – wie es bislang rechtlich erforderlich war – ein „Mandat“ (also einen eingegrenzten Verhandlungsauftrag) durch eine extern bleibende Gewerkschaftsorganisation erhielten.

(Die Arbeit„geber“seite hatte sich allerdings explizit erwünscht, dass die Grenze für diese Möglichkeit bei einer Betriebsgröße von 300 Beschäftigten – statt 50 wie derzeit vorgesehen – gezogen wird. Allerdings glaubte dieselbe Seite offenkundig fest daran, dass dieses Thema erneut auf den Tisch kommen wird; vgl. http://www.ifrap.org/emploi-et-politiques-sociales/des-ordonnances-du-bon-mais-pas-encore-un-big-bang-au-service-de )

In Unternehmen ab fünfzig Beschäftigten bleibt es dabei, dass dort délégués syndicaux – also die Gewerkschaften vertretende, und durch diese mit einem permanenten Mandat ausgestattete – Vertrauensleute verhandeln. Es kam jedoch für Regierung & Kapital nicht in Frage, diese Schwelle herunterzusetzen, während sie sich über das „Fehlen von Diskussionspartnern vor allem in kleineren Unternehmen“ beklagten.

  • Drei von bislang vier bestehenden Instanzen der Personalvertretung in den Unternehmen – die Comités d’entreprise (CE, „Unternehmensausschüsse“) als SEHR ungefähre Entsprechung zu den deutschen Betriebsräten mit gewichtigen Unterschieden, die délégués du personnel oder DP als gewählte Vertrauensleute in den Betrieben und die CHSCT als fachliche Ausschüsse für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen – werden künftig zusammengelegt. Sie bilden dann einen so genannten „Wirtschafts- und Sozialrat“. (Per definitionem in größeren Unternehmen, denn CE und CHSCT sind ohnehin erst ab einer Betriebsgröße von fünfzig Beschäftigten vorgesehen/vorgeschrieben; DP gibt es ab einer Betriebs- oder Unternehmensgröße von elf Beschäftigten auf der jeweiligen Ebene.)

Die große Gefahr dabei liegt darin, dass dann insbesondere die spezifischen Themen von Gesundheits- und Umweltschutz, für welche bislang das CHSCT (als durch DP und CE per indirektem Wahlrecht gewählte Instanz) zuständig war, völlig unter den Tisch fallen könnten. Denn dieselbe Instanz wird künftig etwa auch über die „Rettung von bedrohten Arbeitsplätzen“ debattieren, wie bislang das CE. Umwelt- oder Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz könnten dann leicht einmal als „Luxusthemen“ an den Rand gedrängt werden...

Der mit Abstand dickste Klops ist jedoch folgender: Wie auch bislang das CE oder das CHSCT (auf ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten) wird diese Instanz weiterhin das Recht aufweisen, im Bedarfsfall eine Expertise einzuholen. Nur wird sie dieselbe in Zukunft... aus ihren eigenen Mitteln finanzieren müssen, also aus ihrem jährlichen Haushalt. Bislang gilt noch, dass der Arbeitgeber die Expertise bezahlen muss, sofern der Rückgriff auf den Experten oder die Expertin rechtmäßig – d.h. aus einem sachlichen Grund und im Rahmen der gegebenen fachlichen Zuständigkeiten – erfolgt.

  • Auch auf Branchenebene erfolgt eine wichtige Änderung: Dort kann der „Branchen-Kollektivertrag“ (d.h. in der deutschen Entsprechung: der Flächentarifvertrag) künftig neue, über die gesetzlichen Befristungsgründe hinausgehende oder von ihnen – zu Lasten der Beschäftigten – abweichende Rechtfertigungsgründe für befristete Verträge oder CDD (Contrats à durée indéterminée) vorsehen.
     

  • Ferner entfällt die bisherige Regel, wonach maximal ein Abschluss eines CDD plus eine Verlängerung desselben zulässig waren und danach eine Frist – von einem Drittel der ursprünglichen Laufperiode des Vertrags – eingehalten werden muss, bevor ein neuer befristeter Vertrag mit dem- oder derselben Lohnabhängigen eingegangen werden darf. Dadurch entfällt ein wichtiger Schutz gegen Kettenbefristungen.
     

  • Im Jahr 2010 waren die rechtlichen Voraussetzungen für so genannte comptes de pénibilité geschaffen -, also für eine Art „Konten für Erschwernispunkte“, welche ab 2014 dann real eingerichtet wurden. Dabei geht es darum, aufgrund einer Reihe von Tätigkeitsmerkmalen Kriterien für bestimmte „erschwerte“ – etwa körperlich harte, oder zu körperschädigenden Haltungen zwingende – Arbeiten zu bestimmen. Durch das Sammeln von „Erschwernispunkten“ sollte eine frühere Verrentung ermöglicht werden. Dabei handelte es sich um ein Zugeständnis der Regierung des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy an die Gewerkschaftsdachverbände CGT und CFDT, das im herbst 2010 abgegeben wurde, im Gegensatz zur faktischen Beendigung der Streiks und (Raffinerie-)Besetzungen gegen die damalige „Rentenreform“. Das Renten-Mindestalter wurde damals generell um zwei Jahre von 60 auf 62 Jahre angehoben, neben weiteren Erschwernissen beim Abgang in die Rente. Doch für „erschwerte“ Tätigkeiten sollte durch ein Punktsystem ein gewisses Vorziehen des Rentenalters ermöglicht werden.

Dieses Punktesystem erwies sich – so, wie es ab 2014 eingeführt wurde – als ziemlich komplex zu handhabende, technokratische Lösung. Die Arbeit„geber“ heulten seit jenem Zeitpunkt wiederholt dagegen auf und erklärten diese Regelung gleich insgesamt für „unpraktikabel“; der rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls kam ihnen auch prompt entgegen, indem er (für vier von insgesamt zehn Merkmalsserien) die Einführung des Punktesystems einfach mal vom Jahresende 2014 auf Anfang 2016 verschob. // Vgl. http://www.rtl.fr// Danach dann auf den 1. Juli 2016 // vgl. http://www.lepoint.fr///, und im Bausektor schließlich noch weiter, bis zum 30. September 2017. // http://www.lemoniteur.fr/ // Die neuen Rechtsbestimmungen sollen nun diese vier, besonders umstrittenen Merkmalsserien kurzerhand ganz abschaffen.

Reaktionen

Zu den Reaktionen darauf (vgl. ausführlich: http://www.lefigaro.fr ) nur in aller Kürze: Die Arbeitgeberverbände erklärten sich „befriedigt“, ob es sich um den zentralen Kapitalverband MEDEF, den Verband mittelständischer Unternehmer CPME oder jenen der Handwerker und Kleinunternehmer (U2P) handele.

Während der historisch älteste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – die CGT – erklärte: „Alle unsere Befürchtungen wurden bestätigt“, fallen sonstige gewerkschaftliche Reaktionen mehrheitlich weitaus weniger kritisch aus.

Im Namen des (rechts)sozialdemokratisch geführten Dachverbands CFDT – ungefähr so stark wie die CGT – erklärte ihr Generalsekretär Laurent Berger sich zunächst „in einigen Punkten enttäuscht“. // Vgl. http://www.francetvinfo.fr// Allerdings versicherte der Dachverband ebenfalls schnell, er werde bei den am 12. September d.J. vorgesehenen, seit längerem durch die CGT angekündigten Protesten „nicht auf der Straße sein“; vgl. http://www.francetvinfo.fr]

Noch sehr viel flacher vor dem Regierungslager auf dem Bauch robbt jedoch die Führung des drittstärksten, und politisch sehr schillernden, Dachverbands FO (Force Ouvrière, ungefähr: „Arbeiterkraft“; der Name wird ohne Artikel gebraucht). Dessen Generalsekretär Jean-Claude Mailly wollte sich offiziell zunächst keinerlei Urteil erlauben; ein solches sei ja gar nicht möglich, da die Reform in einigen Punkten gut sei, in anderen hingegen Verschlechterungen bringe. Zum Glück jedoch sei man da gewesen, um in den „Konzertationen“ Schlimmeres zu verhindern. (Also in den Beratungsrunden mit der Regierung, insgesamt 43 an der Zahl - für alle Verbände zusammengerechnet, diese wurden jeweils getrennt empfangen -, bei denen jedoch nichts beschlossen wurde. Sondern lediglich angehört, bevor insgesamt rund zehn Personen die Verordnungstexte verfassten; vgl. zu letzterem Punkt: http://www.francetvinfo.fr/ ) Sonst „hätte manche schon im August dagesessen und Tränen über das Ergebnis vergossen“, bekundete Mailly am 31. August; ganz vergessend, dass er sich noch im selbigen Monat August befand...

In der Gesamtschau sei jedoch vor allem festzustellen, behauptete der Generalsekretär von FO, dass es eine „echte Konzertierung“ gegeben habe, was alles Andere wohl positiv überstrahlen soll. Das soll bedeuten: Da Emmanuel Macron den FO-Apparat mit Gefälligkeiten bedacht hat (und i.Ü. einige seiner Führungskräfte jüngst im Arbeitsministerium eingestellt wurden...), ist die Welt doch in Ordnung.

Noch im vorigen Jahr hatte FO, neben der CGT und Solidaires (dem Zusammenschluss von linken Basisgewerkschaften vom Typ SUD), an den damaligen Protesten gegen das „Arbeitsgesetz“ teilgenommen. Deswegen wird das vordergründige radikale Umschwenken der FO-Bürokratie nun in den Medien besonders als Signal gegen starke Sozialproteste dargestellt.

Einzelne FO-Bereiche, die dennoch zu den Protesten am 12. September 17 aufrufen, bezeichnete Mailly höhnisch als – sinngemäß - ewig unzufriedene „Meckerer und Nörgler“; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Und fiel ihnen natürlich dadurch gegenüber der öffentlichen Meinung mächtig in den Rücken. Innerhalb des Verbands sollen allerdings derzeit einige Leutchen mit geballter Faust in der Tasche herumlaufen.

Die CGT und Solidaires rufen ihrerseits nun für den 12. September d.J. zu Straßendemonstrationen auf. Allerdings gehen diese Aufrufe bislang kaum mit Streikankündigungen einher; inzwischen werden allerdings insbesondere die Eisenbahner/innen für jenen Tag zum Streik aufgerufen. // Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr//

Und ferner spricht der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon – dieser frühere Präsidentschaftskandidat (2012 und 2017) steht derzeit an der Spitze der lautstärksten parlamentarischen Opposition mit seiner linksnationalistischen Plattform/Bewegung La France insoumise – zwar verbalradikal von einem „sozialen Staatsstreich“. // Vgl. http://www.lexpress.fr/ // Ruft jedoch gleichzeitig dazu auf, neben den (von ihm verbal unterstützen) Protesten am 12. September d.J. auch an einem von ihm organisierten zweiten Protesttag am 23. September 17 teilzunehmen. Also am Tag NACH der anstehenden Absegnung der Verordnungen zum Arbeitsrecht im Ministerrat (Kabinett). De facto drohen sich die beiden Termine derzeit eher Konkurrenz zu bereiten; und „irritieren“ dem Vernehmen nach auch etwa die Führung der CGT. // Vgl. https://www.marianne.net/ //

Zwar kann es sinnvoll sein, nach einem angekündigten ersten Protesttermin bereits einen nächsten, einige Zeit später, anzukündigen; doch bietet sich das dann an, wenn es irgendwo eine ansteigende Protestdynamik gibt und man dieser Zeitmarken bieten will. In einer Situation, wo eine Protestmobilisierung allenfalls schleppend zustande kommt und wo in den meisten Medien des Landes La France insoumise quasi als „die“ Opposition widergespiegelt wird, drohen sich die getrennten Termine jedoch eher gegenseitig in die Quere zu kommen. Und dadurch die Gesamtmobilisierung eher zu schwächen.

Alles in allem wird man wohl feststellen müssen, dass es – auch in Anbetracht der erheblichen Niederlage im Frühjahr/Sommer 2016 – nicht nach einer durchschlagenden Protestdynamik aussieht. Auch wenn Emmanuel Macrons Umfragewerte zugleich ordentlich nach unten sinken; vgl. bspw. https://actu.orange.fr/ oder http://www.ouest-france.fr/

Gerne würde sich der Verfasser dieser Zeilen darin täuschen.

Allerdings wird er nicht der Versuchung erliegen, unsere Leser/innen durch täuschende Triumphberichte wie im vorigen Jahr beispielsweise in der jungen Welt (wo die zu Frankreich angegebenen Demonstrant/inn/en-Zahlen mitunter drei bis vier mal höher lagen als die Wirklichkeit, vgl. u.a. die Fantasiezahlen in diesem Artikel: https://www.jungewelt.de/ ) über die realen Probleme und Widersprüche in der Protestmobilisierung hinwegzutäuschen. Denn was soll es dem Sozialprotest in Frankreich bringen, deutsche Leser/innen mit falschen Zahlen und aufgeblasenen Triumphmeldungen zu belügen? Und wie erklärt man dann hinterher (möglichst materialistisch und realistisch) die eventuelle Niederlage – wenn man sie infolge einer ursprünglichen Siegesbesoffenheit nicht zu verstehen vermag? Oder: Wenn in Frankreich an einem 14. Juni 2016 rund eine halbe Million Menschen demonstrieren, unter ihnen rund 300.000 in Paris, und in Berlin dann „über zwei Millionen Demonstrierende“ vermeldet werden – wem ist dadurch geholfen?

Auf jeden Fall wird der Autor unsere Leser/innen en detail über die Entwicklung, und natürlich über den Protest gegen die gefährlichen neuen Rechtsbestimmungen, auf dem laufenden halten.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.