Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Katze ist aus dem Sack (Teil 12)
Arbeitsrechts-„Reform“ unter Emmanuel Macron.

10/2017

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Stand: Dienstag, den 11. Oktober 2017

Der gewerkschaftliche Aktionstag in den öffentlichen Diensten am Dienstag, 10. Februar 17 bildete einen realen Mobilisierungserfolg. Zwischen „209.000“ (Innenministerium; kein Tippfehler: „209.000“, nicht 200.000) und „400.000“ (CGT) Menschen demonstrierten in ganz Frankreich, rund 40.000 in Paris, und damit mehr als am letzten thematischen Aktionstag zur Arbeitsrechts„reform“ am 21.09.17. Am kommenden Donnerstag, den 19. Oktober 17 ruft nun zunächst die CGT zu einer weiteren thematischen Mobilisierung gegen die Arbeitsrechts„reform“ aus

An der Biegung des Bastille-Platzes bekam der Verfasser dieser Zeilen an diesem Dienstag Nachmittag zunächst einen Schreck: Sch(...), das sieht nach wenig aus! Auf einige Demonstrationsblöcke der CGT, versammelt um ihre aufblasbaren Riesenballons in Rot oder Weiß-Rot, folgten ziemlich schnell die anarcho-syndikalistische CNT (in Schwarz-Rot) und der Front Social.

Letzterer ist ein Zusammenschluss linksradikaler Gewerkschaftsflügel, welcher am 22. April und 08. Mai 17 die ersten sozialen Proteste rund um den Präsidentenwechsel organisierte, dessen Einfluss jedoch eher ab- als zunimmt. Solche Kräfte laufen normalerweise eher hinten in einer Demonstration, also hinter den etablierten Gewerkschaften, oder aber ganz vorne irgendwo mitten im schwarz-bunten Block (cortège de tête), wie er seit März 2016 mittlerweile bei jeder Pariser Demonstration dabei ist. Es sah also so aus, als sei die Demonstration nach wenigen Tausend Menschen schon vorbei.

Doch dann, Entwarnung: Beim Anmarsch in Richtung Abschlussort (place de la Nation) stellt sich heraus, dass die CNT und der Front Social sich einfach irgendwo inmitten der CGT-Bezirksverbände aufgereiht hatten, ungefähr in der Mitte der Gesamtdemonstration, und nach ihnen noch Zehntausende Menschen nachfolgen. In Wirklichkeit ist die Demonstration gro, vielleicht 40.000 Menschen. Ihr Eintreffen an der place de la Nation dauert 60 bis 65 Minuten, auf dem breiten boulevard de Diderot.

Die öffentlich Bediensteten haben es geschafft, für ihre Anliegen in ihren Reihen ziemlich breit zu mobilisieren. Es ging gegen die Kopfsteuer CSG (die um knappe zwei Prozent zusätzlich angehoben werden soll, um die Unternehmen und abhängig Beschäftigten von Sozialabgaben zu „entlasten“ – wobei die Lohnabhängigen dann eben stattdessen Kopfsteuer bezahlen), gegen die Wiedereinführung eines unbezahlten ersten Krankheitstags in den öffentlichen Dienst. Auch gegen den Stellenabbau, welcher zwei Facetten aufweist: Einerseits sollen 120.000 Planstellen im öffentlichen Diensten unter Präsident Macron verschwinden. Auf der anderen Seiten sollen aber auch 160.000 contrats aidés abgebaut werden, das sind durch die (lokale) öffentliche Hand subventionierte – und oft gesellschaftlich sinnvolle, doch prekäre – Arbeitsstellen mit privatrechtlichen Verträgen in Rathäusern, NGOs oder Sozialvereinigungen.

Die Mobilisierung am gestrigen Dienstag, den 10. 0ktober d.J. war folglich breiter als jene gegen die Arbeitsrechts„reform“ am 21. September (damals sprach die Polizei von „123.000“, linke Gewerkschaften sprachen von „350.000“ Demonstrierenden in ganz Frankreich). Damals war auch die Privatwirtschaft mit dabei und stellte sogar die Mehrheit der Teilnehmenden. Allerdings ist es in den öffentlichen Diensten - wo keine Kündigungsdrohung im Raum schwebt und wo der gewerkschaftliche Organisierungsgrad höher ist - erheblich leichter zu mobilisieren, als dies heute im Privatsektor der Fall ist. Ferner sorgte die thematische Breite der Anliegen im öffentlichen Dienst dafür, dass alle, auch die so genannt „moderateren“ Gewerkschaften mit dabei waren. Tatsächlich waren gestern auch die christliche CFTC, die „unpolitische“ UNSA und ein Teil der CFDT-Basis mit unterwegs. Allerdings stellten sie jeweils nur wenige Hundert Teilnehmer/inne/n. In Wirklichkeit hing die reale Mobilisierungsdynamik (in dieser Reihenfolge) gestern vor allem an der CGT, und deutlich dahinter an der FSU (Zusammenschluss von Gewerkschaften im Bildungssektor) und der linken Union syndicale Solidaires (u.a. Zusammenschluss der SUD-Basisgewerkschaften); der Rest folgt deutlich dahinter. Es sind also dieselben Gewerkschaftsströmungen, an denen faktisch auch die Mobilisierung gegen die Arbeitsrechts„reform“ hängt.

In Paris waren am gestrigen Dienstag mehrere Postbüros streikbedingt vollkommen geschlossen, ebenso einige Kindergärten und Schulen. Im Bildungswesen betrug die Streikbeteiligung laut Ministerium (das die Zahlen stets herunterrechnet) bei 15 Prozent, laut gewerkschaftlichen Messungen hingegen zwischen 35 und 50 Prozent.


Das Phänomen des cortège de tête (schwarz-bunten Blocks an der Spitze), das in jüngerer Vergangenheit noch unbekannt war, jedoch seit März 2016 die Pariser Sozialdemonstrationen mit prägt, ist auch bei der gestrigen Pariser Demonstration sichtbar. Mit rund 2.000 Menschen ist der schwarz-bunte Block sogar erheblich angeschwollen, zahlreiche Menschen tragen Taucherbrillen oder Vermummung. Am Rande kommt es zu Scharmützeln mit der Polizei, die ihre Taktik in der Macron- gegenüber der Hollande-Ära verändert hat (kein Spalier mehr, keine oder erheblich weniger unmittelbare Provokation durch Tuchfühlung am Straßenrand – doch hartes Zurückschlagen, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt). An der Ecke Avenue de Daumesnil / boulevard de Diderot klebt Blut auf dem Boden: Jemand behauptet, ein junger Mann sei hier von einem Gummigeschoss am Kopf getroffen worden. In unmittelbarer Nähe stehen mutmaßliche Polizisten auf einem dreißig Meter hohen Gebäude und filmen herunter. Ein paar Ecken weiter, in der Nähe des Krankenhauses Saint-Antoine, steht eine Initiative kämpfender Krankenschwestern und –pfleger und sammelt Unterschriften. Eine Krankenschwester begutachtet vor dem Stand eine Platzwunde auf der vorderen Kopfhälfte eines jungen Mannes. Es kommt zu einzelnen Entglasungsaktionen, die sich jedoch dieses Mal in Grenzen halten. Den Fluss der Gesamtdemonstration stört es dieses Mal nicht.

Ausblick:

Am Montag Abend (09. Oktober) trafen sich die Vorstände der verschiedenen Gewerkschaftsdachverbände, konnten sich jedoch nicht auf einen gemeinsamen Aufruf für einen neuen Protesttermin zur Arbeitsrechts„reform“ einigen. Die CGT ruft nun ihrerseits dazu für den Donnerstag, 19. Oktober 17 auf. Mal sehen, wer sich noch mit dranhängt. (NACHTRÄGLICHE ANMERKUNG: Inzwischen ruft auch der linksgewerkschaftliche Zusammenschluss Union syndicale Solidaires mit zum 19. Oktober auf; vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) - Am kommenden Montag, den 16. Oktober werden ferner neue Gehaltsverhandlungen in den öffentlichen Diensten eröffnet. Nach dem erfolgreich verlaufenen gestrigen Aktionstag wird nun erwartet, dass die Regierung Zugeständnisse abwirft.

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.