Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Katze ist aus dem Sack (Teil 8)
Arbeitsrechts-„Reform“ unter Emmanuel Macron.

10/2017

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onlinezeitung

Stand: 22. September 2017

Mobilisierung auf den französischen Straßen vorerst rückläufig – Erheblich weniger Demonstrationsteilnehmer/ innen gestern als am 12. September – Allerdings mehr Arbeitsniederlegungen im selben Moment – Noch stehen Jean-Luc Mélenchons Protesttag am morgigen Samstag, und vor allem der Beginn des Fernfahrerstreiks am Montag (25. September) bevor.

Wir sind keine Anhänger/innen der Auffassung, man müsse oder dürfe unsere Leser/innen mit Triumphmeldungen zur Mobilisierung belügen, die keine Grundlage in der Realität finden. Denn die Wirklichkeit holt eine/n dann in aller Regel schnell ein.

Die Schwierigkeiten der Mobilisierung, ein soziales Kräfteverhältnis gegenüber der Regierung aufzubauen, sind real – kurzes Verfahren durch die Annahme von ordonnances oder Verordnungen mit Gesetzeskraft (statt eines relativ langwierigen Gesetzgebungsverfahrens), ungünstige Aufstellung der Gewerkschaftslandschaft (CFDT und FO dieses Mal gemeinsam gegen die Protestbewegung), geringer Glaube in der öffentlichen Meinung an die Durchsetzung der Protestbewegung. Umso mehr ist zu hoffen, dass doch noch in Ansätzen der Aufbau eines Kräfteverhältnisses gelingen möge.

Aus dem vorigen Jahr gäbe es einige negative Beispiele dafür zu nennen, wie propagandistische, doch von der Wirklichkeit abstrahierende Berichterstattung funktioniert... (Vgl. etwa folgende Meldung aus einem deutschen Presseorgan von 2016: „Mehr als zwei Millionen Franzosen ziehen gegen Regierung auf die Straße“ - https://www.jungewelt.de-, während damals die Polizei von „125.000“ und die CGT offiziell von „1,3 Millionen“ sprach; vgl. u.a. http://tempsreel.nouvelobs.com/ und http://www.liberation.fr/sowie http://www.lemonde.fr/. Nein, dem Verfasser dieser Zeilen hat es sich bis heute nicht erschlossen, was es der Sache – dem Anliegen des Protests – bringen soll, deutsche Leser/innen mit schlichtweg falschen Zahlen zu belügen und über die realen Probleme der Mobilisierung hinwegzutäuschen. Letztere war zum fraglichen Zeitpunkt, Mitte Juni 2016, gegen das „Arbeitsgesetz“ unter François Hollande und Manuel Valls bereits rückläufig, aufgrund einer Reihe von Faktoren. Die Realität dürfte am fraglichen Tag bei 300.000 Teilnehmenden in Paris und maximal 500.000 in ganz Frankreich gelegen haben.)

Also, die Wahrheit über den gestrigen gewerkschaftlichen „Aktionstag“ am Donnerstag, den 21. September lautet wie folgt:

  • Die Teilnehmer/innen/zahl ist gegenüber dem vorausgegangenen ersten Protesttag vom Dienstag, den 12. September rückläufig.

Betreffend die Hauptstadt Paris – wo der Verfasser über eigene, auf Zählung begründete Einschätzungen verfügt – spricht die Polizei von „16.000“ Teilnehmenden (vgl. AFP-Kurzmeldung: http://www.lefigaro.fr/) und die aufrufenden Gewerkschaften von „55.000“ (vgl. AFP-Kurzmeldung: http://www.lefigaro.fr)

Dies entspricht in beiden Fällen einem Rückgang der Mobilisierungszahlen, im ersten Falle (polizeiliche Zahlen) einem deutlicheren – die Polizei sprach am 12. September von „24.000“ Teilnehmenden in Paris -; im zweiteren Falle (Gewerkschaftsangaben) einem leichteren, denn die CGT-Spitze sprach am 12. September von „60.000“ Demonstrierenden in Paris.

Laut eigener, auf Messungen (Breite der Demonstration/der Straße, Dichte, Dauer des Vorbeiziehens) beruhenden Einschätzung liegt in Paris der Rückgang bei einem Drittel bis vierzig Prozent gegenüber dem 12. September. Beim Eintreffen an der Ecke boulevard August Blanqui / place d’Italie benötigte der Protestzug ziemlich genau eine Stunde, zwischen dem Beginn der Ankunft um kurz nach 17 Uhr und einem Abschluss um circa 18.05 Uhr. Hingegen betrug die Dauer am 12. September über anderthalb Stunden: Damals begann der Einzug – auf der anderen Seite der place d’Italie – um 16 Uhr, verzögerte sich jedoch eine halbe Stunde lang durch Scharmützel der Polizei, die ein Vorrücken verhinderten. Von 16.30 Uhr bis punkt 18 Uhr damals dauerte der Einzug der Demonstration, die zudem sichtbar breiter war als am gestrigen Donnerstag.

Realistisch können wir von rund 30.000 Demonstrierenden am gestrigen Donnerstag sprechen, gegenüber rund 50.000 am Dienstag, den 12. September.

Damit liegt die derzeitige Protestbewegung, was die Teilnahme an Demonstrationen betrifft, derzeit im unteren Mittebereich im Vergleich mit früheren sozialen Protestbewegungen auf (zentraler) nationaler Ebene.

Dieses Mal waren die Auswirkungen des Streiks im öffentlicheN Raum doch erheblich sichtbarer. Aufgrund einer Arbeitsniederlegungen in den Druckereien erschien, weder am Morgen noch am Abend, keine einzige überregionale Tageszeitung. Ferner war zumindest ein Teil der öffentlichen Dienste von Ausständen betroffen: Als der Verf. dieser Zeilen im Vorfeld der gestrigen Demonstration bei der Postbank vorbei gehen wollte, fand er das aufgesuchte Postbüro im 18. Pariser Bezirk geschlossen vor. Versehen mit einem Schild: „Aufgrund einer sozialen Bewegung geschlossen – Wiedereröffnung morgen früh.“

  • Zur Zusammensetzung der Demonstration: Die am Protest teilnehmenden Minderheiten innerhalb von FO (rund 500 Personen) und der CFDT (unter 100, Metallindustrie) waren in der Pariser Demonstration vertreten. Die Union syndicale Solidaires, Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften, stellte zwischen 1.000 und 2.000 Demonstrierende. 75 bis 80 Prozent des Protestzugs gehörten der CGT an.
     

  • An der Spitze der Pariser Demonstration lief erneut ein schwarz-bunter Block von rund 1.500 Menschen, davon circa ein Drittel Schwarzvermummte. Die Polizeitaktik hat sich gegenüber der Regierungszeit von François Hollande und Manuel Valls nun, unter Emmanuel Macron, verändert: Während eines Großteils der Dauer der Demonstration waren (in Paris) die Polizeikräfte überhaupt nicht zu sehen, sondern blieben unsichtbar einige Seitenstraßen weit entfernt. Dies ist ein erheblicher Unterschied zu den Anfängen der Protestbewegung im vorigen Jahr, als im März 2016 von Anfang an starke und martialisch auftretende Polizeikräfte Spalier standen und sofort auf Kontakt gingen.
     

  • Diese Erfahrungen mit Polizeiprovokationen und –gewalt aus dem vorigen Jahr haben jedoch mittlerweile einen schwarzen Block entstehen und anwachsen lassen, der seinerseits mitunter offensiv den Kontakt mit der Polizei sucht – wie am gestrigen Tag auf dem Endstück des boulevard August Blanqui, kurz vor dem Eintreffen am Abschlussort. Überwiegend junge und junge sehr Männer schleppten dabei zum Teil, mit offensichtlich hohem Adrenalinspiegel, ausgerissene Straßenrand-Befestigungspfosten aus Gusseisen siegestrunken durch die Gegend. Es wird sich die Frage stellen, wie sich dieses, seit anderthalb Jahren anwachsende Phänomen wieder unter politische Kontrolle bekommen lässt.
     

  • Noch stehen nun Jean-Luc Mélenchons Protesttag am morgigen Samstag, und vor allem der Beginn des Fernfahrerstreiks am Montag (25. September) bevor. Fortsetzung folgt also alsbald an dieser Stelle!

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.