Editorial
Kontrolle muss sein

von Karl Mueller

7-8/10

trend
onlinezeitung

Drei Betriebsräte bei Daimler sind aktuell vom Ausschluss aus der IG Metall bedroht, weil sie im März 2010 als "Alternative offene Liste" bei den Betriebsratswahlen antraten. 15 weitere KollegInnen sollen dafür gerügt werden. Die Repression setzte ein, als die Alternativen  mit 5 Sitzen in den aus 21 Sitzen bestehenden Betriebsrat einzogen und schließlich Mustafa Efe, der auf Platz 1 der Alternativen stand, sogar bei den IG Metall-Delegiertenwahlen die meisten Stimmen erhielt.

Erfreulicherweise wächst der Widerstand gegen diese Repressionen, wie wir bereits in der vorigen Ausgabe berichten konnten. Am 1.Juli kam es zu Soliaktionen vor der Berliner IG Metall Zentrale. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass diese selbständigen Regungen, noch viel zu sehr am Gewerkschaftslegalismus kleben und die betriebliche Praxis der "Alternativen" auf den Betriebsrat fokussiert ist. Um zu zeigen, dass inhaltlich und organisatorisch mehr drin ist, haben wir ein Papier aus dem Jahre 1969 reprintet: Perspektive und Organisierung der Betriebsarbeit.

Auch damals ging es wie heute darum, eine selbständige auf die Belange der ArbeiterInnenklasse bezogene Betriebspolitik zu entwickeln und zu organisieren. Nach wie vor gültig ist m. E. die damals getroffenene Feststellung:

"Die bestehenden Mitbestimmungsinstitutionen sind so konstruiert, daß den Arbeitervertretern, solange sie sich an den legalen Rahmen ihrer Tätigkeit halten, nichts anderes übrig bleibt, als letzten Endes die Logik der kapitalistischen Ökonomie anzuerkennen ... Die bestehenden Institutionen erlauben es den Arbeitern also nicht, ihre Interessen wirkungsvoll durchzusetzen."

Die damaligen Betriebslinken setzten daher auf der Konzept der "Arbeiterkontrolle" statt auf "Mitbestimmung". Sie versprachen sich davon, dass die ArbeiterInnen im Ringen um die Kontrolle über die Produktionsbedingungen, das Bewußtsein ihrer eigenen Macht entwickeln:

"In diesem Sinne bedeutet ARBEITERKONTROLLE den Kampf darum, den Unternehmern ihre alleinige Verfügungsgewalt zu entreißen und sie der Kontrolle der Arbeiter zu unterstellen. Die Resignation und Ohnmacht der Arbeiter, die in Deutschland historisch vor allem durch die Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus begründet ist, läßt sich in der Produktion nur dort durchbrechen, wo die unmittelbaren Erfahrungen der Unterdrückung gemacht werden: am Arbeitsplatz. Der Kampf muß deshalb dort ansetzen."

Mögen die einzelnen Forderungen, die damals betrieblich entwickelt wurden, rein voluntaristisch und damit auf heute nicht übertragbar gewesen sein, so besticht aber gleichsam die innere Logik des Konzepts. Das Verlangen nach Kontrolle über Prozesse, denen die ArbeiterInnen in der Lohnarbeit unterworfen werden, geht nämlich immer mit der Entfaltung von Gegenmacht und Aneignung einher und verleiht den betrieblichen Kämpfen nicht nur konzeptionell einen systemtranszendierenden Charakter, sondern befähigt vor allem die proletarischen Akteure aus der Objektrolle auszubrechen und zu Subjekten dieses Prozesses zu werden.

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In vergleichbarer Weise sind die ArbeiterInnen, sowohl in Lohnarbeit stehend, wie auch aussortiert und prekarisiert, im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess Objekt der Kapitalverwertung, besonders in dem Segment des Prozesses, wo sie MieterInnen sind. Von daher hätte auch hier das Verlangen nach Kontrolle über die Miete, die Staatsknete für den Stadtumbau und die Pläne des Kapitals (Banken, Wohnungbauunternehmen, Versorgungsunternehmen usw.), nicht nur den Effekt einer  Kampfansage wie die Parole "Für ein Recht auf Stadt", sondern hieraus ließen sich vor allem  konkrete Forderungen ableiten. So etwa, wenn die Häuser eines betroffenen Kiezes Delegierte eines Mieterrates nominieren und diesen beauftragen, bestimmte vorher beschlossene Kontrollen konkret anzuschieben. Damit wäre auch eine von unten selbst organisierte Gegenstruktur zu dem staatlichen Domestizierungsinstrument "QM" geschaffen.

Als quasi Hintergrundliteratur zur Frage, inwieweit sich Stadtteilarbeit dennoch politisch immer in der Nähe zu Affirmation und Reformismus bewegt, haben wir zwei weitere historische Texte herausgesucht. Zum einen den RPK-Artikel Überbaustrategie aus dem Jahre 1969 über Mieterkampagnen im Bezirk Kreuzberg und die Berufsbasisgruppe Regionalplanung. Zum andern aus dem Jahre 1971 als eine Art Bilanzierung dieser Erfahrungen Helga Faßbinders Kritik an der Vorstellung, dass"professionalisierten Intelligenz"  zum Initiator für  "Basisgruppen" werden könnte, die als Motor einer "revolutionären Transformation" interpretiert werden.

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Ende Juni erschien die 2. Ausgabe der RandNotizen, der Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez. Wir veröffentlichen daraus den uns inhaltlich zentral erscheinenden Artikel: Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 mit dem bezeichnenden Untertitel Die „Kreative Klasse" und das Ende der Versprechungen für die Proletarisierten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Diese Zeitung ist mit ihrer antikapitalistischen Stoßrichtung ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den kapitalistischen Stadtumbau in Nordneukölln. Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Statt klassenbezogen zu argumentieren, um dadurch die Spaltungen der Klasse überwinden zu helfen, werden diese noch in den Köpfen der LeserInnenschaft zementiert, indem sich die AutorInnen einer Begrifflichkeit und Argumentationskette bedienen, die aus dem Arsenal des politischen Gegners stammt bzw. stammen könnte.

Es ist ein absoluter Unsinn davon zu reden, dass die Mittelschicht - oder synonym dazu gebraucht - die "Kreative Klasse" die Proletarisierten aus der Berliner City = innerer S-Bahn-Ring vertreibt. Hier sitzen unsere AutorInnen dem bitteren Schein der Verhältnisse auf. Statt von der Verwertungsbewegung des Kapitals auszugehen und es in seiner konkreten Aktion zu untersuchen, sowie die dazugehörigen Klassenverhältnisse abzuleiten, glauben sie dem Augenschein.

Oder anders ausgedrückt: Wer in einer Kfz-Bude dienstleistend malocht, bekommt in der untersten Lohngruppe ohne Zulagen monatlich 1,518 € brutto, was einem ca. Nettoverdienst von 1.130,00 € entspricht. In der Recyclingbude käme er auf vergleichbare Einkünfte, dito die Einhandelsverkäuferin. Und damit hätten wir drei Mittelschichtangehörige, so sie denn Single wären, nach der Definition des DIW.

Doch ich höre unsere StadtteilzeitungsmacherInnen schon sagen: Die meinen wir doch nicht!  Und die, die sie meinen, wären anhand des statistischen Jahrbuchs etwa rund 100.000 "kreative" Beschäftigte von ingesamt 825.000 LohnarbeiterInnen - laut Statistischen Jahrbuch 2009  - im Berliner Dienstleistungsbereich.

Kurzum: Wer selbst organisierte Strukturen schmieden, d.h. den Kampf im Stadtteil mit dem Kampf im Betrieb dauerhaft vernetzen will, sollte sehr genau hinschauen, auf welcher Klassengrundlage das geschieht, statt bürgerliche Worthülsen dafür zu bemühen und auch noch falsche Schlüsse zu ziehen.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom Juni 2010, in Klammern 2009, 2008

  • Infopartisan gesamt:   128.465  Besucher ( 113.873, 134.588 )
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