DIW-Wochenbericht 25/01
Zuspitzung der Haushaltskrise in Berlin - Ohne Hilfen des Bundes droht Kollaps

von Dieter Vesper 

09/01
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Die ohnedies äußerst angespannte Finanzlage Berlins hat sich in den letzten Wochen dramatisch verschärft, insbesondere weil die notleidende "Bankgesellschaft Berlin" eine Kapitalzuführung in Höhe von 4 Mrd. DM benötigt. Hinzu kommt, dass der Senat infolge der Bankenkrise auf im Haushaltsplan veranschlagte Privatisierungserlöse und Gewinnausschüttungen sowie auf Steuereinnahmen verzichten und zusätzliche Zinslasten tragen muss. Alles in allem erhöht sich in diesem Jahr - bei einem Haushaltsvolumen von 40 Mrd. DM - das Finanzierungsdefizit im Landeshaushalt vorübergehend auf nahezu 10 Mrd. DM. Die Mehrbelastungen schlagen künftig mit über einer halben Milliarde D-Mark jährlich zu Buche. Auch in den nächsten Jahren wird Berlin eine konsequente Sparpolitik betreiben, also den 1995 eingeschlagenen Kurs fortführen müssen. Finanzpolitischer Spielraum, um eigenständig die Wirtschafts- und Steuerkraft Berlins zu erhöhen, besteht nicht. Daher dürfte es der Stadt nicht gelingen, sich aus eigener Kraft aus dem haushaltspolitischen Dilemma zu befreien.

Ursachen der Finanzkrise

Die aktuelle Fehlentwicklung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Berlin bereits seit langem in einer Haushaltskrise befindet. Sie ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: [1]

Spezial: Die Berlinkrise 

Weitere Texte zur Berlinkrise:

aus marxistischer Sicht

aus bürgerlicher Sicht

 

  • - Mit dem Fall der Mauer kamen auf die Stadt riesige Integrationslasten zu, um ein sozialverträgliches Zusammenwachsen beider Stadthälften zu ermöglichen. Wie die anderen ostdeutschen Länder hatte auch Berlin einigungsbedingte Lasten zu tragen - beispielsweise die Überführung überproportional vieler Stellen der Ost-Berliner Magistratsverwaltung sowie des Ministerrats der DDR. Auch musste die Stadt für den raschen Auf- und Ausbau der Infrastruktur im Ostteil sorgen.
  • - Bis zum Fall der Mauer wurde mehr als die Hälfte des (West-)Berliner Haushalts aus Bundesmitteln finanziert; zu Beginn der 90er Jahre traten die Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit hinzu. Im Jahre 1991 flossen insgesamt 19,6 Mrd. DM als Hilfen aus dem Bundeshaushalt (einschließlich EU) in die Stadt. Danach zog sich der Bund binnen weniger Jahre aus seiner finanzpolitischen Verantwortung für die Stadt zurück. Im Jahre 1995, nachdem der Solidarpakt I beschlossen und Berlin in den Länderfinanzausgleich integriert worden war, wurden nur noch 11 Mrd. DM an den Landeshaushalt überwiesen.
  • - Vor dem Fall der Mauer konnte die (West-)Berliner Wirtschaft nur mit Hilfe einer umfangreichen Wirtschaftsförderung am Leben gehalten werden. Nach dem Fall der Mauer wurde die Förderung spürbar verringert, und viele der Arbeitsplätze an den "verlängerten Werkbänken" gingen verloren; im Ostteil der Stadt kollabierte die Wirtschaft, da sie unter den geschaffenen Marktbedingungen nicht wettbewerbsfähig war. Zudem wanderten zahlreiche Unternehmen - und auch einkommens-stärkere Bevölkerungsgruppen - ins Umland ab. Die Erosion der Wirtschaftskraft wurde zunächst durch den Vereinigungsboom und die Hoffnungen auf schon bald "blühende Landschaften" überdeckt. Nach dem Abklingen dieses Booms geriet die Berliner Wirtschaft zudem in den Sog der trägen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Erosion der Wirtschaftskraft war von der Erosion der Steuerkraft begleitet. Zusätzliche Steuerausfälle mussten als Folge der umfangreichen steuerlichen Förderung der Investitionstätigkeit, vor allem im Immo-biliensektor, hingenommen werden. [2]
  • - Es waren aber auch politische Versäumnisse, die Berlin in eine Finanzkrise geraten ließen. Viel zu lange hatte sich politisches Gestalten darin erschöpft, zusätzliche Mittel zu verteilen, viel zu spät hatte die Politik in Berlin das Sparen gelernt.
Beachtliche Konsolidierungserfolge nach 1995

Nur durch einen abrupten Kurswechsel konnte seinerzeit der finanzielle Kollaps vermieden werden. Bis zum Jahre 1995 war das Defizit im Landeshaushalt auf 11 Mrd. DM gestiegen; jede vierte Mark, die ausgegeben wurde, musste über Kredite finanziert werden (Tabelle 1). Seitdem sind die Defizite deutlich zurückgeführt worden, im Jahre 2000 belief sich der Fehlbetrag auf 5 Mrd. DM - und dies, obwohl konjunktureller Gegenwind blies und deshalb die Steuereinnahmen nur spärlich flossen.

Dass in den Jahren 1996 bis 2000 ein beachtlicher Konsolidierungserfolg erzielt wurde, lag zum einen daran, dass die Ausgaben um fast 6 % gesenkt worden sind - in den anderen Ländern sind sie im gleichen Zeitraum um 8 % gestiegen. Lässt man die Zinsausgaben außer Betracht, treten die Konsolidierungsbemühungen noch deutlicher hervor. Zum anderen hatte sich Berlin von einem großen Teil seines kurzfristig veräußerbaren Landesvermögens getrennt. Von 1997 bis 2000 sind durch den Verkauf des "Tafelsilbers" - insbesondere von Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung - reichlich 10 Mrd. DM in die Landeskasse geflossen. Diese Erlöse verminderten die Kreditaufnahme, wodurch wiederum Zinsausgaben vermieden werden konnten.

Ein wichtiger Schritt bei den Bemühungen um eine Senkung der Ausgaben war der Abbau des aufgeblähten Personalstands im Berliner Landesdienst. Von 1995 bis zum Jahre 2000 ist die Zahl der Beschäftigten - auf Vollzeitstellen umgerechnet - um 35 000 bzw. um ein Fünftel zurückgegangen. Unterstützt wurde der Konsolidierungsprozess durch äußerst moderate Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst. Per saldo sind die Personalausgaben in diesem Zeitraum gesunken, von 14,3 Mrd. DM auf 14 Mrd. DM. Einem stärkeren Rückgang stand die Tatsache entgegen, dass das altersbedingte Fluktuationspotential zum größten Teil aus Beamten besteht; sie erhalten ihre Altersbezüge aus dem Landeshaushalt und nicht von der Rentenversicherung. Die rückläufigen Sachaufwendungen erklären sich nicht nur durch Einsparungen beim Bürobedarf oder Unterhalt der Gebäude und Grundstücke, sondern auch dadurch, dass die Zuschüsse an die Hochschulen kräftig - von 3,1 Mrd. DM auf 2,5 Mrd. DM - gekürzt worden sind. Noch stärker wurde der Rotstift bei den Sachinvestitionen angesetzt, also dort, wo politische Widerstände gegen Kürzungen gering sind. Die Investitionen sind um über die Hälfte geschrumpft, und auch die Investitionszuschüsse an Unternehmen wurden um fast ein Drittel gesenkt.

Die Senkung der Ausgaben hatte zur Folge, dass sich der Abstand Berlins zu den beiden anderen Stadtstaaten merklich verringert hat. Inzwischen weist Berlin trotz seiner teilungsbedingten Lasten mit 12 067 DM sogar niedrigere Pro-Kopf-Ausgaben auf als Bremen (12 162 DM). Verglichen mit Hamburg beträgt der Unterschied noch 930 DM bzw. 8 %, nachdem 1995 die Pro-Kopf-Ausgaben in Berlin noch um 21 % höher lagen. Auch zeigt sich, dass Berlin in wichtigen Infrastrukturbereichen seine Ausstattungsvorsprünge abgebaut hat. An den Berliner Schulen wird inzwischen weniger Unterricht je Schüler erteilt als in Hamburg und Bremen. In den Kindergärten ist die Betreuungsintensität - bezogen auf die Gesamtzahl in der entsprechenden Altersgruppe - ähnlich hoch, doch liegt in Berlin die Zahl der Kinder, die einen Kindergarten besuchen, sehr viel höher. Wenn die personelle Betreuung der Studenten an den Hochschulen in Berlin intensiver ist, so kann dies darauf zurückgeführt werden, dass in der Hauptstadt eine breitere Palette an Studienfächern angeboten wird. Die Zahl der Studenten je 1 000 Einwohner variiert indes nur geringfügig.

Bei aller Problematik solcher Vergleiche gibt es gewichtige Gründe dafür, dass Berlin einen höheren Ausgabenbedarf reklamiert - so die teilungsbedingten Lasten, die Lasten als Hauptstadt wie auch (agglomerationsbedingte) Lasten, die mit der Einwohnerzahl steigen. [3] Doch ist Berlin am wenigsten in der Lage, diese Belastungen aus eigener Steuerkraft zu finanzieren, wie ein Vergleich der Pro-Kopf-Steuereinnahmen für das Jahr 2000 belegt: Während in Hamburg 863 DM zu Buche standen, waren es in Bremen 548 DM, in Berlin dagegen nur 502 DM. Diese Unterschiede reflektieren im Wesentlichen die Diskrepanzen in der Wirtschaftskraft.

Projektion der Einnahmen und Ausgaben bis 2005

Ein Blick in die Zukunft vermag zu helfen, den künftigen Handlungsbedarf der Berliner Finanzpolitik quantitativ und qualitativ zu umreißen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung im Landeshaushalt nicht nur von den politischen Entscheidungen auf der Landesebene abhängt, sondern in hohem Maße von den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt wird. Die hier vorgelegte Vorausschätzung der Einnahmen und Ausgaben basiert auf den Annahmen, die die Bundesregierung ihrer mittelfristigen Zielprojektion zugrunde gelegt hat. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass in den Jahren 2001, 2003 und 2005 erhebliche Steuerentlastungen wirksam werden, die auch von den Ländern und Gemeinden zu tragen sind. [4]

Es wird erwartet, dass auch im Projektionszeitraum Berlins Steuereinnahmen etwas schwächer als im Bundesdurchschnitt zunehmen, da die Stadt in der Entwicklung der Wirtschaftskraft weiter hinterherhinken wird, auch wenn sich der Abstand im Tempo etwas verringert. Als Puffer dienen die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich. Unterstellt ist, dass der Solidarpakt II im Jahre 2005 quantitativ in einer ähnlichen Größenordnung wie bisher fortgeführt wird und mögliche Veränderungen bei der "Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisung (BEZ)" oder der BEZ "Politische Führung" über die Umsatzsteuerverteilung vom Bund an die Gesamtheit der Länder zurückgegeben wird. Bei der Veräußerung von Sachvermögen und Beteiligungen ist in Zukunft mit deutlich geringeren Erlösen zu rechnen, da ein Großteil der lukrativen Beteiligungen bereits veräußert ist. Alles in allem werden nach der hier vorgelegten Schätzung die Einnahmen bis zum Jahre 2005 nur geringfügig - um knapp 3 % - steigen (Tabelle 2).

Während die Einnahmenseite von den lokalen Entscheidungsträgern nur in relativ engen Grenzen beeinflusst werden kann - neben der wirtschaftlichen Entwicklung spielt eine Rolle, dass ein einzelnes Land bei steuerpolitischen Entscheidungen nur über den Bundesrat mitwirken kann -, ist der Spielraum auf der Ausgabenseite größer, auch wenn die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst "exogen" vorgegeben sind. Diese Abschlüsse werden mit einer Rate von knapp 2 % jährlich veranschlagt; auch wird angenommen, dass der Personalstand um reichlich 1 % bzw. 2 000 Vollzeitkräfte jährlich abgebaut wird. Insbesondere im administrativen Bereich - Bauverwaltung, Sozialverwaltung, Politische Führung und zentrale Verwaltung - sind noch Kürzungspotentiale zu vermuten. Beim laufenden Sachaufwand und weit stärker noch bei den Investitionsausgaben wird eine weiterhin rückläufige Entwicklung unterstellt. Infolge der Haushaltsnöte wird die Stadt vor allem hier ihre Ausgaben kürzen, da es sich vielfach um Projekte handelt, die nicht auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhen. Für die Wirtschaftskraft Berlins hätte dies aber fatale Konsequenzen. Auch bei den Unterstützungen sind Kürzungen zu erwarten. Hingegen ist die Höhe der Schuldendiensthilfen für den Wohnungsbau - sie stellen zinsgleiche Aufwendungen dar - nicht veränderbar, sie ist durch die wohnungsbaupolitischen Entscheidungen in der Vergangenheit bestimmt: Die Investoren im sozialen Wohnungsbau erhalten für die aufgenommenen Kredite - insgesamt etwa 35 Mrd. DM - Zinszuschüsse aus dem Landeshaushalt.

Alles in allem wird in der Projektion der mittelfristigen Haushaltsentwicklung in Berlin eine sehr restriktive Ausgabenpolitik unterstellt. Dennoch bewegen sich die Defizite nach 10 Mrd. DM in diesem Jahr in einer Größenordnung von jährlich 5 Mrd. DM. Hieraus errechnen sich bei den Zinsausgaben bei einem unterstellten Kapitalmarktzins von reichlich 5 % jährliche Mehrbelastungen von 300 bis 500 Mill. DM. Das heißt aber auch: Die Mehrbelastungen schränken den Spielraum auf der Ausgabenseite zusätzlich ein. Einschließlich der Zinsausgaben steigen die Ausgaben in dieser Projektion bis 2005 um knapp 2 %. Ohne Zinsausgaben errechnet sich ein Minus von knapp 2 % - hierin spiegelt sich das Ausmaß der unterstellten Restriktion auf der Ausgabenseite.

Fazit

Die hier vorgelegte Projektion der Berliner Finanzen bis zum Jahre 2005 verdeutlicht die dramatische Lage, in der sich der Landeshaushalt befindet. Trotz beachtlicher Anstrengungen auf der Ausgabenseite ist es in den vergangen fünf Jahren nicht gelungen, die Fehlbeträge auf ein erträgliches Maß zurückzuführen; die zusätzlichen Belastungen im Zusammenhang mit der Bankgesellschaft tun ein Übriges. War schon dieser rigide Kurs mit erheblichen Opportunitätskosten verbunden - nicht von ungefähr bildet Berlin seit geraumer Zeit das Schlusslicht in der wirtschaftlichen Entwicklung -, so dürften sich bei einer Fortsetzung die Kosten, vor allem in Form zunehmender sozialer Probleme, merklich erhöhen. Doch zur Fortsetzung der Sparpolitik gibt es keine Alternative.

Selbst bei dem hier unterstellten Sparszenario wird Berlin im Jahre 2005 wohl von allen Ländern (und ihren Gemeinden) mit Abstand am höchsten verschuldet sein. Der Schuldenberg dürfte dann auf etwa 100 Mrd. DM angewachsen sein (2000: 70 Mrd. DM). Pro Kopf der Bevölkerung wären dies 29 500 DM. Obwohl Berlin dann voraussichtlich deutlich niedrigere Pro-Kopf-Ausgaben als Hamburg und Bremen aufwiese, wäre die Verschuldung in der Hauptstadt sehr viel höher. Die Zins-Steuer-Quote beliefe sich auf 30 % und wäre so hoch wie in keinem anderen Land; unter Einbeziehung der zinsgleichen Aufwendungen für den Wohnungsbau errechneten sich sogar 40 %. Hingegen wäre die Investitionsquote so niedrig wie nirgendwo anders. Die investiven Mittel würden kaum mehr ausreichen, alle notwendigen Ersatzinvestitionen zur Substanzsicherung zu finanzieren. Infolge der Haushaltsnöte muss die Stadt ihre Anstrengungen zur Standortverbesserung im nationalen wie auch im internationalen Rahmen noch stärker einschränken. Dies trägt nicht dazu bei, die wirtschaftlichen Perspektiven der Stadt zu verbessern - im Gegenteil. Zwar ist eine gute Infrastrukturausstattung in einer Region kein Garant für einen wirtschaftlichen Aufholprozess, wohl aber eine notwendige Bedingung. Nicht nur fehlen der Stadt die Mittel, um der regionalen Wirtschaftsentwicklung Impulse zu geben. Auch kann Berlin seine "weichen" Standortfaktoren (z. B. Wissenschaft, Bildung, Kultur) nicht ausreichend pflegen, um im Standortwettbewerb aufzuholen. Zudem gehen vom Sparkurs in erheblichem Maße dämpfende Effekte auf die regionale Nachfrage und den Arbeitsmarkt aus.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Berlin seine Finanzprobleme aus eigener Kraft nicht lösen können. Trotz der Annahme einer äußerst sparsamen Ausgabenpolitik weist die Projektion für das Jahr 2005 noch ein Defizit von 41/2 Mrd. DM auf. Auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Folgen der Bankenkrise für die Stadt verbleibt noch ein Defizit in der Größenordnung von 4 Mrd. DM; das sind etwa 10 % des Haushaltsvolumens. Selbst dies wäre für Berlin allein kaum zu schultern.

Eine wichtige Frage ist, in welchem Umfang der Bund bereit ist, sich an den Leistungen zu beteiligen, die Berlin als Hauptstadt bereitstellt. Hierbei geht es nicht nur um die Vielzahl von repräsentativen kulturellen Einrichtungen, es geht z. B. auch um die Finanzierung von Verkehrssystemen. Die Mittel, die bisher aus dem Bundeshaushalt geflossen sind, gleichen eher einem Tropfen auf den heißen Stein. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen in anderen Ländern [5] ist auch hier ein grundlegendes Umdenken dringend erforderlich.

Bisher ist in Berlin die Frage, ob die Stadt angesichts seiner desolaten Finanzlage einen Anspruch auf Ergänzungszuweisungen des Bundes zur Linderung einer Haushaltsnotlage hat, weitgehend tabuisiert worden. Freilich war Berlin gut beraten, zunächst auf eigenes Handeln zu setzen, um sich aus dem Finanzierungsdilemma zu befreien. Angesichts der dramatischen Finanzlage muss dies in Zukunft zu einem zentralen Thema werden. Es gibt keinen "Automatismus", mit dem ein Anspruch auf solche Hilfen begründet werden kann. Im Prinzip stehen zwei Wege offen, nämlich Verhandlungen mit dem Bund oder der Weg nach Karlsruhe. Gegenwärtig erhalten das Saarland und Bremen solche Hilfen, die sich beide Länder vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten hatten. Eine Notlage sah das Gericht als erwiesen an, weil die Kreditfinanzierungsquote bzw. die Zins-Steuer-Quote weit über dem Durchschnitt aller Länder lag. Gemessen an diesen Indikatoren könnte Berlin bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt - wobei die zusätzlichen Belastungen aus der Krise der "Bankgesellschaft" ausgeklammert blieben - einen Anspruch auf solche Hilfen geltend machen (Tabelle 3). [6] Freilich wäre die Akzeptanz in der Öffentlichkeit für einen solchen Schritt höher, wenn die Hauptstadt zunächst den konsequenten Sparkurs fortsetzte. Dessen ungeachtet hat Berlin bereits in den letzten Jahren Sparanstrengungen unternommen, wie sie von Bremen und dem Saarland trotz Sanierungsprogrammen in der Vergangenheit nicht erbracht worden sind.

[1] Hierauf hatte das DIW in früheren Untersuchungen immer wieder hingewiesen. Vgl.: Riesige Fehlbeträge im Berliner Landeshaushalt - Bisherige Sparbemühungen reichen nicht aus. Bearb.: Dieter Vesper. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 45/95; Berliner Finanzpolitik in einem fast ausweglosen Dilemma - Aktuelle Tendenzen im Landeshaushalt von Berlin. Bearb.: Dieter Vesper. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 39/97; Kann sich Berlin aus seinem Finanzdilemma befreien? Zur Entwicklung des Landeshaushalts von Berlin. Bearb.: Dieter Vesper. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 22/99; Dieter Vesper: Perspektiven der Finanzpolitik in Berlin. Gutachten im Auftrag des DGB, Landesbezirk Berlin-Brandenburg, Berlin 2000 (Manuskript).

[2] Zu Buche schlug insbesonder die Verrechnung von Verlustzuweisungen aus gewerblichen Beteiligungen, aus Engagements in Immobilienfonds sowie von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung.

[3] Dem zuletzt genannten Einflussfaktor stehen allerdings auch so genannte Größenvorteile bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen gegenüber.

[4] Gegenüber der Projektion, die im vergangenen Jahr vom DIW Berlin im Rahmen des Gutachtens für den DGB durchgeführt wurde, basiert die vorliegende Rechnung auf etwas ungünstigeren gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Zudem wurde eine noch restriktivere Ausgabenpolitik unterstellt, weil sich wegen der Auswirkungen der Krise um die Bankgesellschaft zusätzliche Belastungen ergeben, die aufgefangen werden müssen.

[5] Als ein Beispiel mag Wien dienen, wo die zentralen kulturellen Einrichtungen ausschließlich vom Bund finanziert werden, als ein anderes Washington, D.C., dessen Haushalt fast zur Hälfte von der zentralen Ebene finanziert wird und dessen Pro-Kopf-Ausgaben im Übrigen mehr als doppelt so hoch sind wie im Durchschnitt der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.

[6] Die Zins-Steuer-Quote, die unter Einschluss der Mittel aus dem Finanzausgleich errechnet wird, liegt dem Entwurf des Maßstäbegesetzes der Bundesregierung zugrunde.

 

Tabelle 1

Einnahmen und Ausgaben im Landeshaushalt Berlin 1991 bis 2000

-------------------------------------------------------------------------------
                                        1991    1992    1993    1994    1995

                                                      Mill. DM

Steuern u. Ä.                          9 534  12 463  14 601  16 685  15 799
Länderfinanzausgleich i. e. S.            -       -       -       -    4 104
Ergänzungszuweisungen Bund                -       -       -       -    3 703
Sonstige Zahlungen vom Bund           16 857  15 588  12 333   7 519   3 151
Gebühren                               1 133   1 214   1 304   1 373   1 461
Einnahmen aus wirtschaftl. Tätigkeit     384     445     480     502     796
Veräußerung von Sachvermögen              29      33      27      39     132	
Veräußerung von Beteiligungen              4      32      26   1 829     617	
Sonstige                               1 797   2 198   2 476   2 430   2 722	
	
Einnahmen insgesamt                   29 738  31 973  31 247  30 377  32 485	
	
Personalausgaben                      11 471  13 168  14 013  14 174  14 280	
Laufender Sachaufwand                  8 103   9 353  10 082  10 310  10 903	
Zinsausgaben                           1 046   1 314   1 678   1 904   2 275	
Laufende Übertragungen                 7 926   7 786   8 479   8 664   9 192	
   Unterstützungen                     2 137   2 559   2 842   2 897   2 976	
   an Unternehmen                      4 328   3 839   4 193   4 082   4 291	
   an soziale Einrichtungen              805     918     996   1 201   1 327	
   Sonstige                              656     470     448     484     598	
Sachinvestitionen                      1 649   1 467   1 617   1 525   1 888	
Vermögensübertragungen                 2 719   2 544   2 470   2 790   3 202	
Darlehen, Beteiligungen                2 552   2 583   1 838     917   1 246	
Tilgungsausgaben an den Bund             171     175     190     222     218	
	
Ausgaben insgesamt                    35 637  38 390  40 367  40 506  43 204	
Ausgaben ohne Zinsausgaben            34 591  37 076  38 689  38 602  40 929	
	
Finanzierungssaldo                    -5 899  -6 417  -9 120 -10 129 -10 719	
	
                                      Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in %	
	
Steuern u. Ä.                                     30,7    17,2    14,3    -5,3	
Länderfinanzausgleich i. e. S.                    -       -       -       -   	
Ergänzungszuweisungen Bund                        -       -       -       -   	
Sonstige Zahlungen vom Bund                       -7,5   -20,9   -39,0   -58,1	
Gebühren                                           7,1     7,4     5,3     6,4	
Einnahmen aus wirtschaftl. Tätigkeit              15,9     7,9     4,6    58,6	
Sonstige                                          22,3    12,6    -1,9    12,0	
	
Einnahmen insgesamt                                7,5    -2,3    -2,8     6,9	
	
Personalausgaben                                  14,8     6,4     1,1     0,7	
Laufender Sachaufwand                             15,4     7,8     2,3     5,8	
Zinsausgaben                                      25,6    27,7    13,5    19,5	
Laufende Übertragungen                            -1,8     8,9     2,2     6,1	
   Unterstützungen                                19,7    11,1     1,9     2,7	
   an Unternehmen                                -11,3     9,2    -2,6     5,1	
   an soziale Einrichtungen                       14,0     8,5    20,6    10,5	
   Sonstige                                      -28,4    -4,7     8,0    23,6	
Sachinvestitionen                                -11,0    10,2    -5,7    23,8	
Vermögensübertragungen                            -6,4    -2,9    13,0    14,8	
Darlehen, Beteiligungen                            1,2   -28,8   -50,1    35,9	
Tilgungsausgaben an den Bund                       2,3     8,6    16,8    -1,8	
	
Ausgaben insgesamt                                 7,7     5,1     0,3     6,7	
Ausgaben ohne Zinsausgaben                         7,2     4,4    -0,2     6,0	
	
	
-------------------------------------------------------------------------------
                                        1996    1997    1998    1999    2000	
	
                                                      Mill. DM	
	
Steuern u. Ä.                         15 095  15 649  15 964  16 866  16 994	
Länderfinanzausgleich i. e. S.         4 335   4 358   5 022   5 161   5 434	
Ergänzungszuweisungen Bund             3 701   3 710   3 751   3 790   3 810	
Sonstige Zahlungen vom Bund            3 552   3 829   3 671   3 760   3 704	
Gebühren                               1 441   1 470   1 441   1 361   1 328	
Einnahmen aus wirtschaftl. Tätigkeit     789     784     982     757   1 301	
Veräußerung von Sachvermögen               5     552     446     516     603	
Veräußerung von Beteiligungen             69   4 479   2 183   3 120     757	
Sonstige                               2 390   2 944   2 314   2 226   1 943	
	
Einnahmen insgesamt                   31 378  37 775  35 775  37 557  35 874	
	
Personalausgaben                      14 301  14 062  13 876  13 939  13 979	
Laufender Sachaufwand                 10 240   9 979   9 565   9 650  10 054	
Zinsausgaben                           2 860   3 352   3 561   3 746   3 839	
Laufende Übertragungen                 8 128   8 672   8 912   8 943   8 437	
   Unterstützungen                     2 861   2 995   3 053   3 083   3 047	
   an Unternehmen                      3 270   3 630   3 743   3 700   3 594	
   an soziale Einrichtungen            1 423   1 469   1 455   1 499   1 098	
   Sonstige                              575     578     661     661     698	
Sachinvestitionen                      1 477   1 206   1 091     871     848	
Vermögensübertragungen                 2 660   2 666   2 475   2 225   2 269	
Darlehen, Beteiligungen                1 943   1 677   1 704   1 671   1 315	
Tilgungsausgaben an den Bund             210     286     185     138     127	
	
Ausgaben insgesamt                    41 819  41 900  41 368  41 183  40 868	
Ausgaben ohne Zinsausgaben            38 959  38 548  37 808  37 437  37 029	
	
Finanzierungssaldo                   -10 442  -4 125  -5 594  -3 626  -4 994	
	
                                      Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in %	
	
Steuern u. Ä.                             -4,5     3,7     2,0     5,7     0,8	
Länderfinanzausgleich i. e. S.             5,6     0,5    15,2     2,8     5,3	
Ergänzungszuweisungen Bund                -0,1     0,2     1,1     1,0     0,5	
Sonstige Zahlungen vom Bund               12,7     7,8    -4,1     2,4    -1,5	
Gebühren                                  -1,4     2,0    -2,0    -5,5    -2,4	
Einnahmen aus wirtschaftl. Tätigkeit      -0,9    -0,6    25,3   -22,9    71,9	
Sonstige                                 -12,2   -18,7    19,1    -3,8   -12,7	
	
Einnahmen insgesamt                       -3,4    20,4    -5,3     5,0    -4,5	
	
Personalausgaben                           0,1    -1,7    -1,3     0,5     0,3	
Laufender Sachaufwand                     -6,1    -2,5    -4,1     0,9     4,2	
Zinsausgaben                              25,7    17,2     6,2     5,2     2,5	
Laufende Übertragungen                   -11,6     6,7     2,8     0,4    -5,7	
   Unterstützungen                        -3,9     4,7     1,9     1,0    -1,2	
   an Unternehmen                        -23,8    11,0     3,1    -1,2    -2,9	
   an soziale Einrichtungen                7,2     3,3    -1,0     3,1   -26,8	
   Sonstige                               -3,8     0,5    14,3     0,1     5,6	
Sachinvestitionen                        -21,8   -18,3    -9,5   -20,2    -2,6	
Vermögensübertragungen                   -16,9     0,2    -7,1   -10,1     2,0	
Darlehen, Beteiligungen                   56,0   -13,7     1,6    -1,9   -21,3	
Tilgungsausgaben an den Bund              -3,6    36,1   -35,3   -25,4    -8,0	
	
Ausgaben insgesamt                        -3,2     0,2    -1,3    -0,4    -0,8	
Ausgaben ohne Zinsausgaben                -4,8    -1,1    -1,9    -1,0    -1,1	
	
-------------------------------------------------------------------------------
Quellen: Statistisches Bundesamt (Vierteljährliche Kassenergebnisse); 
Berechnungen des DIW.	
===============================================================================
Tabelle 2
Projektion der Einnahmen und Ausgaben im Landeshaushalt Berlin bis 2005

-------------------------------------------------------------------------------
                                                                      Verände-
                        2000    2001    2002    2003    2004    2005 rung 2005
                                                                      zu 2000

                                          Mill. DM                         %

Steuern u. Ä.         16 994  16 400  16 800  17 300  17 950  18 400       8,3
Länderfinanz-
 ausgleich i. e. S.    5 434   5 200   5 400   5 600   5 850   6 100      12,3
Ergänzungszu-
 weisungen Bund        3 810   3 820   3 820   3 850   3 890   2 900     -23,9
Sonstige Zahlungen
 vom Bund              3 704   3 870   3 750   3 700   3 650   3 600      -2,8
Gebühren               1 328   1 380   1 430   1 480   1 530   1 580      19,0
Einnahmen aus wirtsch.
 Tätigkeit             1 301   1 000   1 000   1 000   1 000   1 000     -23,1
Veräußerung von
 Sachvermögen            603     600     550     550     550     550      -8,8
Veräußerung von
 Beteiligungen           757     500     550     550     550     550     -27,3
Sonstige               1 943   2 000   2 050   2 100   2 160   2 220      14,3

Einnahmen insgesamt   35 874  34 770  35 350  36 130  37 130  36 900       2,9

Personalausgaben      13 979  14 020  14 080  14 150  14 250  14 350       2,7
Laufender Sachaufwand 10 054   9 970   9 920   9 870   9 820   9 770      -2,8
Zinsausgaben           3 839   4 100   4 650   4 970   5 260   5 510      43,5
Laufende Übertragungen 8 437   8 410   8 360   8 280   8 200   8 120      -3,8
   Unterstützungen     3 047   3 030   3 000   2 950   2 900   2 850      -6,5
   an Unternehmen      3 594   3 580   3 560   3 540   3 520   3 500      -2,6
   an soziale
    Einrichtungen      1 098   1 100   1 090   1 070   1 050   1 030      -6,2
   Sonstige              698     700     710     720     730     740       6,0
Sachinvestitionen        848     830     800     770     740     720     -15,1
Vermögensübertragungen 2 269   2 200   2 100   2 000   1 900   1 850     -18,5
Darlehen,
 Beteiligungen         1 315   1 300   1 250   1 200   1 150   1 100     -16,3
Tilgungsausgaben
 an den Bund             127     100     100      90      80      70     -44,9
Kapitalzuführung
 Bankgesellschaft         -    4 000      -       -       -       -        X	
	
Ausgaben insgesamt    40 868  44 930  41 260  41 330  41 400  41 490       1,5	
Ausgaben ohne	
 Zinsausgaben         37 029  40 830  36 610  36 360  36 140  35 980      -2,8	
	
Finanzierungssaldo    -4 994 -10 160  -5 910  -5 200  -4 270  -4 590      -8,1	
	
-------------------------------------------------------------------------------
Quelle: Schätzungen und Berechnungen des DIW.	
	
===============================================================================
Tabelle 3
Indikatoren zur Verschuldung der Länder (einschließlich Gemeinden) 
im Jahre 2000

-------------------------------------------------------------------------------
                     Zins-Steuer-Quote in %    Kreditfinanzie-  Pro-Kopf-Ver-
                     ohne (1)  einschl. (2)    rungsquote (3)     schuldung
                        Finanzausgleich             in %             in DM

Baden-Württemberg        6,5          6,9           86,6            6 828
Bayern                   4,7          5,0           61,7            4 883
Brandenburg             13,7         10,3          122,7           11 001
Hessen                   8,7         10,2          107,9            9 516
Mecklenburg-Vorpommern  14,5         10,6          111,9           10 440
Niedersachsen           13,3         12,5          141,7           10 456
Nordrhein-Westfalen     11,3         11,6          139,3           11 058
Rheinland-Pfalz         13,4         12,3          147,6           10 950	
Saarland                18,7         16,9          166,6           13 117	
Sachsen                  9,1          6,6           79,4            6 847	
Sachsen-Anhalt          15,7         11,4          135,4           12 407	
Schleswig-Holstein      15,3         14,4          166,3           12 503	
Thüringen               14,2         10,3          123,2           11 060	
	
Berlin                  22,6         14,9          160,1           19 319	
Bremen                  27,6         22,4          206,7           25 136	
Hamburg                 13,1         14,2          171,2           19 075	
	
Insgesamt               10,6         10,7          119,0            9 924	
	
-------------------------------------------------------------------------------
(1) Zinsausgaben in % der Steuereinnahmen.	
(2) Einschließlich Mittel aus Länderfinanzausgleich, Fehlbetrags- und	
 Übergangs-Ergänzungszuweisungen des Bundes.	
(3) Kreditmarktschulden in % der Ausgaben.	
Quellen: Statistisches Bundesamt (Vierteljährliche Kassenergebnisse);	
 Berechnungen des DIW.	
	
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Editoriale Anmerkung:  
Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.diw-berlin.de/deutsch/publikationen/wochenberichte/docs/01-25-1.html