Haushalts- und Bankenkrise in Berlin und ein einhelliger Befund: "Filz"!

Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags

09/01
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10 Jahre ist er nun alt, der "Hauptstadtbeschluss" – und die vorläufige Zwischenbilanz fällt ziemlich katastrophal aus: "miserabel aufgestellte Industrie", "maßlos aufgeblähter öffentlicher Dienst", "Missmanagement" und "Subventionsmentalität" werden der politischen Führung Berlins angekreidet. Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Chef der Berliner Hypobank Landowsky kommt wegen eines Großkredits an eine Immobilienfirma ins Gerede, die sich ihrerseits mit einer Barspende von 40.000 DM an die CDU erkenntlich zeigte, und tritt zurück. Die Bankenaufsicht ermittelt gegen die landeseigene Bankgesellschaft Berlin (BGB) und stellt eine "außerordentliche Schieflage" fest: Wertberichtigungen in Höhe von 3 - 7 Milliarden stehen an. Damit steht fest: Die BGB ist zahlungsunfähig und das Land Berlin muss dafür gerade stehen. Und wie schon zu ähnlichen Gelegenheiten in der Vergangenheit lautet der zusammenfassende Befund der Öffentlichkeit über Berlin: ein einziger "Filz" – also eine unheilige Allianz zwischen Politikern und Geschäftemachern soll für die Probleme verantwortlich sein. Das kann nicht stimmen. Spezial: Die Berlinkrise 

Weitere Texte zur Berlinkrise:

aus marxistischer Sicht

aus bürgerlicher Sicht

1.

Mit dem "Hauptstadtbeschluss" war nämlich weit mehr auf den Weg gebracht als der Umzug der Regierungsmannschaft in ein neues Domizil. Mit diesem Beschluss wurde vielmehr der politische Großauftrag ausgegeben, das wiedervereinigte Berlin zu einer kapitalistischen Metropole auf- und auszubauen, die den Vergleich mit anderen Weltmetropolen nicht zu scheuen braucht. Nur ein solches Berlin ist nach Meinung der regierenden Nationalisten geeignet, die durch die Wiedervereinigung gewachsene Macht Deutschlands angemessen zu repräsentieren. Damit riefen sie zu einer Spekulation auf die Hauptstadt auf: In eben jene Stadt, in der das wiedervereinigte Deutschland sich repräsentiert, sollte das Kapital investieren, indem es sich der politisch eröffneten Geschäftsquellen bedient.

Damit das auch klappt, hat das Land Berlin ein Stadtentwicklungsprogramm aufgelegt, das die Infrastruktur für das zu attrahierende Kapital schaffen sollte. Mit einer Vielzahl von Bau- und sonstigen Projekten sollten – mit jeder Menge Kredit, für den sich Berlin mit seiner Landesbank verbürgte – beste Voraussetzungen fürs Geschäft in und mit Berlin geschaffen werden. Diese "Vorleistungen" waren nicht auf einen angemeldeten Bedarf seitens der anvisierten Kapitale berechnet, sondern ausschließlich auf den "Hauptstadtbeschluss" gegründet. Politökonomisch betrachtet waren sie also eine Spekulation darauf, dass dem politischen Willen in absehbarer Zeit seitens der angesprochenen Geschäftswelt entsprochen wird – der Staat pumpt jede Menge Kredit und somit Geschäftsgelegenheiten nach Berlin und dies sollte Handel, Kommerz und Tourismus aller Art nach sich ziehen. Der Ausbau von Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln, der Bau von Bürogebäuden und die Ausweisung von Industriegebieten sind jedoch nicht dasselbe wie die Produktion von kapitalistischem Reichtum, sondern bloße Voraussetzungen dafür. Protzbauten für Regierung & Parlament sowie Wohnungen für Regierungsbeamte sind reine Kosten, die der Staat sich leistet, indem er seiner Gesellschaft das dafür nötige Geld abknöpft. Dass diese staatlichen Vorleistungen von den eingeladenen Kapitalisten "angenommen" werden, an deren Erträgen der Staat sich dann wieder bedienen kann, darauf setzte der Berliner Stadtstaat. Diese Spekulation ist nun – vorerst – geplatzt: Die Kombination von politischer Macht und Macht des Kredits, eingesetzt für den Zweck, aus Berlin den lohnenden kapitalistischen Standort schlechthin zu zimmern, hat Berlin nicht zu einer blühenden Metropole, sondern zu einem nationalen Betreuungsfall gemacht. In Berlin ist schlicht zu viel Kredit genommen und gewährt worden, zu viel gebaut und investiert worden, als dass dieser Kredit durch die Geschäfte mit den so aus dem Boden gestampften Objekten bedient werden könnte. Das bringt die Gläubigerbank an den Rand des Bankrotts und mit ihr den Stadtstaatshaushalt in Schwierigkeiten.

Dass die Politik dafür zuständig ist, das Kapital zu erweitertem Wachstum zu ermuntern, indem es ihm Geschäftsgelegenheiten stiftet, ist im Kapitalismus selbstverständlich. Letztes Beispiel dafür war die erfolgreiche (!) Ansiedlung des neuen BMW-Werks in Leipzig, für die die sächsische CDU-Regierung unter Biedenkopf und die Leipziger Kommunalverwaltung unter einem SPD-Oberbürgermeister sehr gelobt wurden. Was hätte die Öffentlichkeit wohl für ein Geschrei angestimmt, wenn BMW dieses Werk aufgrund mangelnder Unterstützung durch Investitionsbeihilfen und Steuernachlässe statt in Sachsen im Ausland gebaut hätte? "Filz" heißt das Ganze – hier im Falle Berlins – also nur aus einem Grund: die politisch in Gang gebrachte Spekulation war ein Misserfolg. Im umgekehrten Fall heißt der "Filz" nämlich "erfolgreiche Strukturpolitik"!

2.

Aber es gibt ja auch noch die andere Seite des "Filz"-Skandals: Politiker wie Landowsky und ganze Regierungsparteien geraten in den Verdacht der Vorteilsnahme. Auch das hat einen schlichten Grund: die Politiker sind doch zuständig dafür, welche Projekte aus der Taufe gehoben werden und sie entscheiden auch, welches Kapital für die damit in Aussicht gestellten Geschäfte den Zuschlag erhält. Damit avancieren die Inhaber der politischen Macht quasi automatisch zu Adressaten von "Ermunterungen" seitens der Kapitalisten, die mit allen legalen und illegalen Mitteln versuchen, dass die ausgelobte Staatsknete in ihren Taschen landet und nicht in denen der Konkurrenten. "Gute Beziehungen" bis hin zur Korruption sind das Mittel, Konkurrenten auszuschalten, um selbst ins Geschäft zu kommen, wenn die Politik Standortpolitik betreibt. Und dass Politiker gleich in Personalunion auftreten – hier als Politiker und dort als Chef einer Bank, wie im Falle Landowskys – ist ebenfalls kein Wunder, wenn neue Geschäfte politisch angeschoben werden sollen, die ohne politischen Kredit nie zu Stande kämen. Auf diese Weise stellt die Politik eben sicher, dass die anvisierten Profitgelegenheiten, die sie zu finanzieren gedenkt, auch in den richtigen Kanälen landen. Wer wäre denn wohl besser geeignet, die fälligen Kreditentscheidungen, die politisch aufgelegt werden, auch geschäftlich zu beglaubigen?

Auch in dieser Hinsicht gilt also das oben bereits genannte Prinzip: Der Staat schafft mit seiner Hoheit Kredit, ohne den kein Geschäftsmann auch nur eine müde Mark in derlei Spekulationsprojekte stecken würde. Die Stiftung solcher Geschäfte, die zunächst nur wegen der Staatsknete überhaupt zu Stande kommen, gilt keineswegs als "Misswirtschaft" und "Filz", sondern gehört zum Pflichtenkatalog jedes Wirtschaftsministers, -senators oder Stadtentwicklungsreferenten. Wenn durch den politischen Kredit erfolgreiche Geschäfte "angeschoben" werden, dann dürfen sich die verantwortlichen Politiker als "Macher" feiern lassen. Ist der Anschub nicht erfolgreich und müssen folglich Kredite abgeschrieben und durch den Staatshaushalt gegenfinanziert werden, dann wird aus "Wirtschaftsförderung" "Misswirtschaft", aus für beide Seiten gedeihlichen Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft "Filz"; und dann muss auch in "Macherkreisen" gelegentlich der eine oder andere Kopf rollen.

3.

Genau das ist jetzt in Berlin mit dem Rücktritt Landowskys geschehen. Und mehr sogar: Darüber ist in Berlin die Regierung gekippt und eine Neuwahl angesetzt worden. Im fälligen Wahlkampf bekommen die Berliner Bürger derzeit geboten, was sich in Krisenzeiten gehört: Politiker von Steffel über Wowereit bis Gysi buhlen um die Gunst des Wahlvolks mit dem Argument, sie seien für die anstehende Sanierung Berlins die geeigneten Figuren. In diesem Wahlkampf wird der Bürger mit der Versprechung gelockt, dass er sich die neue Sanierermannschaft zusammenwählen darf, die ihm dann unter Titeln wie "Verantwortung für Berlin" (SPD) oder "100 % Berlin" (CDU) oder "www.take-it-gysi.de" (PDS) das Geld aus der Tasche zieht. Parteiübergreifend besteht nämlich Einigkeit in der Erkenntnis, dass Berlin "den Gürtel enger schnallen" muss. Keine Frage weit und breit, welche Posten im Haushalt da ins Visier geraten: Erstens stehen bei den städtischen Angestellten fünfstellige Entlassungszahlen in Rede und zweitens soll an den mickrigen Geldern für genau die Armutsexistenzen gespart werden, die die Hauptstadtökonomie zu Hauf ausschwitzt. Für all das holt sich der nächste Berliner Senat – von welchen Parteien auch immer er gestellt wird – durch die Neuwahl das demokratische Totschläger-Argument: ‚Wählerauftrag!‘. Und alle, die von diesem Auftrag betroffen sein werden und sich darüber beschweren, sind mit dem Deuten auf die ‚Mehrheit der Wähler!‘ automatisch als egoistische Minderheit ins Unrecht gesetzt.

Ein prima Gelegenheit für die PDS, endlich auch in dieser Sorte Konkurrenz um die Macht endgültig "in der Demokratie anzukommen":

"Ich möchte dafür eintreten, dass die notwendige Sanierung der Stadt sozial gerecht erfolgt. [...] Nur durch Überwindung dieses Filzes wird Berlin für seriöse Investoren wesentlich interessanter als bisher werden." (Gysi auf seiner Pressekonferenz am 17. Juni 2001)

Was man daraus lernen könnte?

  1. Wenn die etablierten Parteien die "Sanierung" Berlins zur Staatsnotwendigkeit ausgerufen haben, dann wäre die PDS die letzte, die diese Problemdefinition in Frage stellen würde. Nein, wenn Sanierung angesagt ist, dann will die PDS auch dabei vorn dran sein und die Etablierten auch beim Streichen von Stellen usw. in den Schatten stellen.

  2. Wenn Sanierung ansteht und man dafür die Stimmen von Leuten haben will, die die Sache ausbaden müssen, dann muss man "sozial gerecht" dazu sagen. Als ob es irgendeinen unter seinen Konkurrenten von den alten Westberliner Parteien gäbe, der für eine sozial ungerechte Sanierung wirbt. Und was ist "sozial gerecht"? Dem "kleinen Mann", dem irgendetwas gestrichen wird, wird versprochen, dass "auch andere die notwendigen Opfer" bringen müssen. Das Schöne an diesem Wahlversprechen ist: Reihum wird jedem versprochen, dass auch jeder andere seinen Beitrag zur Sanierung abzuliefern hat – sofern das notwendig ist. Und darüber entscheidet die Politik. So holt sich die Politik die Blanko-Zustimmung des Wahlvolkes zu allem, was sie für nötig befindet.

  3. Woran erkennt man "seriöse Investoren"? – Genau: Daran, dass Gysi sie besorgt hat. Er kann eben alles mindestens genau so gut wie seine Konkurrenten aus den bürgerlichen Parteien. Woher kommt bloß das Gerücht, der Mann hätte etwas anderes vor, als seine Konkurrenten aus CDU und SPD?

Lesetipp
Korruption in der Politik. GegenStandpunkt 1-2000, S. 61 – 71.
Erhältlich beim GegenStandpunkt-Verlag

Editoriale Anmerkung: Der Text wurde am 6. August 2001  in Radio Lora gesendet.