IHK-Vollversammlung diskutierte mit Regierendem Bürgermeister Wowereit

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Die Vollversammlung der IHK Berlin befasste sich am 5. Juli 2001 in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit mit der aktuellen politischen Situation vor den Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus im kommenden Herbst.

Der Regierende Bürgermeister, der eine noch mit seinem Amtsvorgänger getroffene Terminabsprache durch seine Teilname an der Vollversammlung honorierte, nahm zum Jahresbericht der IHK, der sich schwerpunktmäßig mit der Lage der öffentlichen Finanzen befasste, Stellung, und erläuterte die Vorhaben des von ihm geführten Übergangssenats.

Die Vollversammlung der IHK Berlin formulierte ihre Erwartungen an die weitere Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Berlin in einer Resolution. Diese Resolution stellen wir anliegend zur Verfügung:

Spezial: Die Berlinkrise 

Weitere Texte zur Berlinkrise:

aus marxistischer Sicht

aus bürgerlicher Sicht


Mit dem Ende der Großen Koalition und der Bildung eines von der PDS geduldeten Übergangssenats aus Sozialdemokraten und Bündnisgrünen hat eine Zäsur in der Geschichte Berlins nach den ersten freien Wahlen nach der Wiedervereinigung stattgefunden. Baldige Neuwahlen sind erforderlich, um in Berlin eine Regierung zu bilden, die mit der nötigen Legitimation durch die Wähler ausgestattet ist.

Dem gegenwärtigen und jedem zukünftigem Senat stellen sich gewaltige Herausforderungen, die tatkräftig angegangen werden müssen. Die dramatische Haushaltskrise liegt wie Mehltau auf der Stadt und engt den Handlungsspielraum für die weitere Entwicklung des Standorts extrem ein. Der niedrige Investitionshaushalt belastet die Wirtschaft der Stadt. Handlungsspielraum für eine aktive Standortpolitik wieder zu fördern, muss das wichtigste Ziel der kommenden Jahre sein.

Berlin hat in den vergangenen Jahren viel erreicht. Dynamik und Aufbruchstimmung kennzeichnen das Klima der Stadt. Die Wirtschaft hat nach langer Durststrecke Tritt gefasst. Die Modernisierung der Stadt ist überall sichtbar. Der Anteil der Selbständigen an der Bevölkerung hat erheblich zugenommen. Die Stadt erweist sich als attraktiv für Touristen, Geschäftsreisende und Investitionen. Das Erreichte nicht zu gefährden, ein positives, dynamisches Klima in Berlin zu bewahren, ist eine wichtige Anforderung an jede neue Regierung.
 

Die IHK Berlin hat folgende Erwartungen an die weitere Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Berlin:

1. Berlin muss den Weg zur Konsolidierung seiner Finanzen konsequent weiter beschreiten. Die Politik der vergangenen sechs Jahre war prinzipiell richtig. Angesichts der Dramatik der Haushaltslage muss aber noch entschiedener Ballast abgeworfen werden. Der Staat ist auf seine Kernaufgaben zurückzuführen. Seine unternehmerischen Beteiligungen sind weitestgehend zu privatisieren, eigene Aufgaben soll er, wo möglich, durch Private durchführen lassen. Öffentliches Personal muss weiter reduziert werden. Die Arbeit des Senats wird auch daran zu messen sein, wie sie sich mit den Vorschlägen der Scholz-Kommission auseinandersetzt. Haushaltskonsolidierung ist auch eine Voraussetzung dafür, dass die für die Zukunftsfähigkeit der Region notwendige Zusammenführung von Berlin und Brandenburg politisch durchsetzbar ist.

2. Der Senat muss die Überlebensfähigkeit der Bankgesellschaft Berlin sichern. Die zusätzliche Nettoneuverschuldung zur Erhöhung des Eigenkapitals der Bankgesellschaft darf nur temporär sein. Erlöse aus der voraussichtlich weitgehenden Verwertung der landeseigenen Anteile der Bankgesellschaft müssen unmittelbar wieder zur Senkung der öffentlichen Schulden eingesetzt werden.

3. Berlin muss sparen, dabei aber die richtigen Prioritäten setzen. Das Land muss weiterhin in seine Infrastruktur, in Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie die effiziente Förderung der Wirtschaft investieren. Alles andere gehört auf den Prüfstand. Wichtige standortqualifizierende Vorhaben wie Flughafen, Messe, Erhalt von 85.000 ausfinanzierten Studienplätzen und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur dürfen hingegen nicht zur Disposition gestellt werden. Die derzeitigen Finanzierungsengpässe dürfen nicht dazu führen, dass mittelfristig notwendige Verkehrsinfrastrukturprojekte aufgegeben werden. Dazu gehören die Schließung des inneren und mittleren Rings (Weiterführung der A 100 von Neukölln bis zur Frankfurter Allee), der Ausbau der B 101 von Marienfelde durch Lankwitz zum Schöneberger Kreuz sowie die Fertigstellung der U 5 von Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof.

4. Das wichtigste Infrastrukturvorhaben für die Region ist die Errichtung des internationalen Flughafens BBI in Schönefeld. Er wird sich als Wachstumsmotor und Jobmaschine erweisen. Der Senat muss alles unternehmen, um den geplanten Zeitrahmen einzuhalten. Dazu gehört auch die zügige Fortsetzung der Privatisierungsverhandlungen. Für die Flughafenanbindung sind die Dresdner Bahn und die A 113 erforderlich. Bis zur Inbetriebnahme von BBI im Jahre 2007 sind die Kapazität von Tegel auszuweiten, der Betrieb in Tempelhof zu erhalten und die Attraktivität von Schönefeld zu steigern.

5. Die wissenschaftlichen Hochschulen, Fachhochschulen, die Berufsakademie und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind das Pfund, mit dem Berlin wuchern muss. Sie sind der Humus, auf dem die wirtschaftliche Entwicklung gedeiht. Angesichts der Pensionierungswelle, vor der alle deutschen Hochschulen stehen, muss sich Berlin für den Kampf um die besten Köpfe rüsten. Finanziell kann Berlin mit den reichen Bundesländern nicht mithalten. Daher ist Planungssicherheit von allergrößter Bedeutung für die Berufungsverhandlungen. Die ausgehandelten Hochschulverträge für die Jahre 2003 bis 2005 müssen noch vor der Sommerpause unterschrieben werden.

6. Neben den allgemeinbildenden Schulen, die zu Recht von allen Parteien von Kürzungsüberlegungen ausgenommen werden, ist ein besonderes Augenmerk auf die berufliche Bildung zu richten. Während die Wirtschaft durch eine erhebliche Steigerung von Ausbildungsplätzen und ausbildenden Betrieben ihren Teil zum Erhalt des dualen Systems beiträgt, ist die Personalsituation in den Berufsschulen Anlass zu großer Besorgnis. Der Senat muss schneller als bisher erhebliche Anstrengungen unternehmen, um Berufsschullehrer auszubilden. Der große Bedarf ist auch durch Zulassung von Quereinsteigern aus anderen Studienrichtungen und durch Nachqualifizierung von Praktikern aus den Unternehmen zu decken.

7. Die nach wie vor gesperrten bzw. gekürzten Mittel der Gemeinschaftsaufgabe und der Außenwirtschaftsförderung schränken in Berlin das investive und außenwirtschaftliche Verhalten der Unternehmen erheblich ein. Der Übergangssenat muss unmittelbar nach der Beschlussfassung über den Nachtragshaushalt daher die Haushaltssperre  aufheben und dafür sorgen, dass die budgetierten Mittel schnell kassenwirksam werden. Dies trifft viele mittelständische Unternehmen, die zur Zeit in Berlin so wie so einen schweren Stand haben.

8. Der Beschluss, mit zehn Prozent der Erlöse aus dem Verkauf der Wasserbetriebe einen Zukunftsfonds zu speisen, entsprach einer langjährigen Forderung der Wirtschaft. Berlin wollte sich damit ein zukunftsorientiertes Instrument zur strategischen Stärkung seines wirtschaftlichen Potenzials geben. Obwohl vertraglich zugesichert, hat schon die große Koalition Mittel nur unzureichend bereitgestellt. Der Übergangssenat will nun die Mittel für den Zukunftsfonds bis auf einen Restbetrag von 20 Millionen zur allgemeinen Haushaltsdeckung einsparen. Bedeutende vom Technologie- und Innovations-Rat empfohlene Projekte, u.a. auf dem Gebiet der Hochleistungslichtquellen, der Breitbandkommunikation, der Hormon- und der Genomforschung könnten daher nicht gefördert werden. Berlin wird so vertragsbrüchig – ohne Zukunftsfonds keine Zukunft!

9. Tourismus und Geschäftsreiseverkehr haben in den letzten Jahren erhebliches wirtschaftliches Wachstum in die Stadt gebracht. Trotz allgemein schwächerer Konjunkturerwartungen ist diese Branche in Berlin stabil. Die Anziehungskraft Berlins ist vor allem seiner kulturellen Ausstrahlung und dem kreativen Potential in Kunst und Medien zu verdanken. Zusätzlich erhalten wir die Attraktivität Berlins, wenn die öffentlichen Räume sicher, sauber und einladend sind, und wenn der private Sektor für die Flächen in seiner Verantwortung entsprechend verfährt. Auch deshalb dürfen die Landesmittel, die in die public private partnerships von BTM und Partner für Berlin fließen, nicht gekürzt werden.

10. Keinesfalls darf an der Steuer- und Abgabenschraube zur Erhöhung von Einnahmen gedreht werden. Dieser Weg ist ausgereizt. Der Standort Berlin wäre durch eine Senkung der Gewerbesteuer erheblich attraktiver zu gestalten. Jede Steuererhöhung hingegen wäre in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation Gift für die Wirtschaft.
 

Wirtschaftliche Tätigkeit braucht Vertrauen in die Zukunft eines Standorts. Die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung der PDS nach den Abgeordnetenhauswahlen erweckt in Teilen der Unternehmerschaft zunächst Misstrauen. Es gibt auch, vor allem im Westteil der Stadt, starke emotionale und aus dem eigenen Erleben begründete Ablehnungen.

Wir nehmen aber zur Kenntnis, dass die PDS in den östlichen Stadtbezirken die stärkste politische Kraft ist und in allen Bezirksämtern Verantwortung trägt. Ihre Mandatsträger sind demokratisch gewählt; das heißt noch nicht, dass alle Parteimitglieder der PDS Demokraten sind. Es ist jedoch ein Unterschied, ob Vertreter dieser Partei in den bezirklichen Verwaltungen bürgernahe – nicht selten auch wirtschaftsfördernde - Politik machen oder ob die PDS in einer Landesregierung ihr derzeitiges Programm durchsetzen will.

Die Programme der PDS belegen ihre Ferne zur Sozialen Marktwirtschaft. Inhaltlich droht die PDS den Unternehmen eine ganze Reihe von wirtschaftsfeindlichen Instrumenten an. Sie reichen von eher grundsätzlichen Angriffen auf den angeblich „ausbeuterischen Charakter des kapitalistischen Produktions- und Konsummodells“, dem Willen zur „Überwindung der Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums“ und dem Ruf nach staatlicher Investitionslenkung im derzeitigen Bundesprogramm der PDS bis hin zu konkreten Forderungen im letzten Berliner Wahlprogramm wie der Erhebung von Infrastrukturabgaben, der Verhinderung von für die Region essentiellen Verkehrsprojekten, der Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungs- und Wirtschaftssektors, den Vorstellungen zur Hochschulpolitik und einer Fülle von zusätzlichen Regulierungen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Berlin jetzt dringend braucht, und das müssen auch diejenigen wissen, die mit dem Gedanken an eine Zusammenarbeit mit der PDS auf Landesebene liebäugeln.

Editoriale Anmerkung:  Der Text ist eine Pressemitteilung der IHK Berlin vom  06. Juli  2001 und wurde von http://www.berlin.ihk.de/presse/pm2001/pm_041.html gespiegelt.