Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Den Fahrstuhl nach unten kann man nicht nur mit tariflichem Lohnkampf stoppen!

Über den
Wert der Ware Arbeitskraft und den Streik der Lokführer/GDL

12/07

trend
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Heute ist es so, dass fast jeder halbwegs energische Widerstand oder jeder halbwegs entschlossene Kampf für irgend eine soziale Verbesserung der Lage auch nur von kleinen Teilen der Lohnabhängigen, gut tut! In Deutschland konnten in den vergangenen Jahren die größten sozialen Schweinereien ohne nennenswerten Widerstand durchgesetzt werden. Die Folgen davon sind schon massiv spürbar, werden aber erst im Laufe der Zeit voll durchschlagen!

Die Zeit ist voller verrückter Widersprüche. Da demonstrieren in Berlin private Briefzusteller gegen einen gesetzlichen Mindestlohn, damit ihre saumäßig bezahlten Lohnarbeitsplätze nicht in Gefahr geraten sollen. Menschen malochen für Armutslöhne von 4 Euro die Stunde und weniger. Und dann fordern vergleichsweise gut bezahlte Lokführer eine Lohnerhöhung von 30%.

Wie immer man zum Streik der GDL stehen mag, es ist wunderbar, dass eine kleine Gruppe von Lohnabhängigen auf die „ökonomische Vernunft“, auf „realistisch“ hin oder her  pfeift, und gegenüber einem monopolitischen Einzelkapital auf die eigenen, „egoistischen“ Interessen pocht. Nein, das lässt nicht unbedingt und automatisch auf Klassenbewusstsein schließen. Dahinter mögen sich sogar rein berufsständische Interessen verbergen. Es bleibt deshalb trotzdem wahr, dass ohne ein solches Pfeifen auf die ökonomische Vernunft, ein solches selbstbewusstes Pochen auf die eigenen Interessen, sich überhaupt kein Klassenbewusstsein der Lohnabhängigen entwickeln kann und folglich auch keine großen Auseinandersetzungen zwischen den Hauptklassen dieser Gesellschaft. Ohne einen solchen Klassenkampf aber kann das Kapital durchsetzen, was immer es will und was „ökonomisch notwendig und vernünftig“ ist.

Tarifliche Lohnkämpfe allein, wie sie jetzt von der GDL geführt werden, sind längst nicht mehr geeignet, die materiellen Lebensbedingungen der Lohnabhängigen im Durchschnitt halbwegs erträglich zu gestalten. Schon lange sind Prozesse im Gange und Entscheidungen getroffen, die darauf hinauslaufen den Preis (Lohn) unter den Wert der Ware Arbeitskraft zu drücken, damit das Kapital seine Rentabilität erhöht und ökonomisches Wachstum induziert wird. („Hauptsache Arbeit“ heißt soviel wie „Hauptsache Kapital“!)

Die Gewerkschaften ziehen im Großen und Ganzen mit, verweigern den politischen Kampf, den Kampf der ganzen Klasse der Lohnabhängigen und bekämpfen jene, die ihn verlangen! Sollen dem Kapital Schranken gesetzt werden, dann müssen sich Bewegungen entwickeln wie in Frankreich (politische Streiks), Klassenkämpfe zur Verteidigung des Kündigungsschutzes oder des Renteneintrittsalters (eine große Zahl von Lohnabhängigen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen ist involviert in die Auseinandersetzungen mit dem „ideellen Gesamtkapitalisten“). Ohne solche Konfrontation von Klasseninteressen und entsprechende Kampfaktionen gibt es auch überhaupt keine Chance, auf gesellschaftlicher Stufenleiter, in breiter Öffentlichkeit über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren und sich zu verständigen. Kommunismus kann nicht das Produkt bloßer Aufklärung sein, nur der Klassenkampf überwindet die Lähmung, den – wenn man so will - „sozialen Reformstau“, lüftet die Gehirne, indem er das bloße Funktionieren unterbricht. 

Zumutbarkeit von Lohnarbeit und gesetzlicher Mindestlohn 

Unter den Bedingungen anhaltender Überakkumulation und sinkender Profitraten der letzten Jahrzehnte entwickelte und entwickelt das Kapital eine Tendenz den Preis der Ware Arbeitskraft unter ihren Wert zu drücken.

Eine wesentliche Stellgröße für diesen Wert sind die Ausbildungskosten der Arbeitskraft. Schon durch die Entwicklung neuer Techniken, neuer Qualifikationen gerät eine einmal erworbene Qualifikation unter Druck und mit ihr der Lohn, der für die entsprechende Arbeitskraft gezahlt wird. Ein qualitativer Sprung tritt jedoch dann ein, wenn im Interesse des gesellschaftlichen Gesamtkapitals die rechtlichen Rahmenbedingungen so verändert werden, dass innerhalb kürzester Zeit per Anordnung der Bundesanstalt der Arbeit eine erworbene Qualifikation für null und nichtig erklärt, also eine besonders qualifizierte Arbeitskraft in ihrer Besonderheit komplett entwertet wird. Die neuen Zumutbarkeitsregelungen für LohnarbeiterInnen, die Bestandteil der Agenda 2010 waren, sind ein Generalangriff auf den Wert der Ware Arbeitskraft. Jede nicht sittenwidrige Arbeit ist zumutbar. Egal, was immer meine Qualifikation war, der Fahrstuhl nach unten wird in Gang gesetzt. Die LohnarbeiterInnen werden gezwungen praktisch jede Arbeit, egal wie hoch die Entlohnung ist, unabhängig von ihrer Qualifikation, anzunehmen. 

Immer mehr „Arbeitgeber“ haben sich in den letzten Jahrzehnten aus ihren Klassenorganisationen verabschiedet, um der tariflichen Bindung zu entgehen. Es gibt immer mehr sogenannter „ungeschützter“ Arbeitsverhältnisse, in denen die Löhne rapide nach unten gegangen sind, Urlaubstage gestrichen werden usw. usf. Das durch Tarife gebundene Kapital der Verbände zieht längst nach und drängt mit großem Erfolg auf Flexibilisierung von Flächentarifen. Damit nicht genug, es gelingt ihnen mittlerweile sogar zusammen mit den Gewerkschaften Armutslöhne zu tarifieren, „gesellschaftsfähig“ zu machen. 

Längst sind die DGB-Gewerkschaften auf den Zug der Flexibilisierung aufgesprungen, in der Hoffnung, dadurch anerkannte „Sozialpartner“ und Co-Manager des Managements zu bleiben. Nichts schlimmeres könnte den bestehenden Gewerkschaften widerfahren, als das „ihre Gegner“,die Arbeitgeberverbände sich selbst auflösten.(Womit schon einmal gedroht wurde.) Es gäbe dann nichts mehr in gegenseitiger Anerkennung von Zuständigkeiten zu verhandeln und das letzte Mittel (der Streik) würde zum unabdingbaren Erst-Mittel, was keine der DGB-Gewerkschaften will!

Diese Gewerkschaften sind keine „soziale Gegenmacht“! Sie leben mehr denn je von der inzwischen gnädigen Anerkennung des Kapitals, das sie „mitnehmen“ will, solange das für zweckmäßig gehalten wird. Das ausgerechnet ein Berufsverband wie die GDL so etwas wie entschlossene soziale Gegenmacht demonstriert, besagt alles. Sie muss erst noch um Anerkennung durch das Kapital kämpfen (eigener Tarifvertrag), befindet sich also in einer Situation, die der der Gewerkschaften vor dem 1. Weltkrieg ähnelt. Die GDL ist nur weniger „sozialistisch“, als die Gewerkschaften es damals waren. Die DGB-Gewerkschaften sind im Großen und Ganzen Teilhaber an der sozialen Macht des Kapitals und in ihrer heutigen Verfassung weitgehend unfähig zu sozialer Gegenmacht! 

Die Einzelkapitalisten bieten Lohnabhängigen immer häufiger Armutslöhne an und der „ideelle Gesamtkapitalist“ (Staat) erlässt Gesetze und Verordnungen, die die Lohnabhängigen zwingen, diese Armutslöhne anzunehmen, wenn sie nicht auf jedes Geldeinkommen verzichten wollen. In diesem Zangenangriff wird der Preis der Ware Arbeitskraft unter ihren Wert gedrückt. Dem kann nicht allein mit tariflichen Lohnkämpfen Einhalt geboten werden. Erforderlich wäre eine politische, also gesellschaftliche  Bewegung, die eine Rücknahme der Zumutbarkeitsregelungen (Agenda 2010) von Lohnarbeit verlangt sowie einen für das gesellschaftliche Gesamtkapital verbindlichen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 10 Euro die Stunde. (Vergl. das in Trend veröffentlichte Flugblatt des Aktionsbündnisses zum Mindestlohn ). Eine solche Bewegung könnte in ihrer Masse  nur getragen werden von den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften. Ihre Entwicklung und Ausbreitung ist aber nur denkbar durch Initiativen außerhalb des DGB und gegen Politik und Apparat des DGB. Dafür ist es u.a. wichtig, das Flugblatt zum Mindestlohn des Aktionsbündnisses weit zu verbreiten! (Das gedruckte Flugblatt kann man auch über www.klartext-info.de beziehen.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.

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