Berichte aus Brasilien
Unser Mann
Lula  bekommt immer mehr Beifall von der falschen Seite


von Klaus Hart
02/03
 
 
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Schröder, Chirac, Banktrusts der USA und Europas, der Internationale Währungsfonds, Oberspekulanten wie George Soros – alle mögen Brasiliens neuen Staatschef Lula, loben ihn als neuen „Leader“ auf dem Weltparkett, als „gereiften Sozialisten“. Gut zu wissen, daß der Ex-Arbeiterführer schnell gelernt hat, wos langgeht, Warnungen beherzigt, und wie es aussieht, von linken Experimenten die Finger läßt, den bisherigen konservativen Wirtschaftskurs weiterfährt.  Multis, „Investoren“ sind fürs erste erleichtert, unter Lula dürfte in Lateinamerikas Industrielokomotive Brasilien nichts anbrennen. Da zeigt man sich gerne gefällig: Großbanken, Analysten hatten noch im Wahlkampf wegen des drohenden Lula-Sieges ihren Kunden geraten, Brasilien-Papiere schleunigst abzustoßen, Einlagen abzuziehen – jetzt empfehlen sie das Gegenteil. Immerhin hatte Lula quasi symbolisch kurz vor seiner Reise zum Davoser Kapital-Gipfel noch die Leitzinsen – unter den drei höchsten der Welt -  um einen halben Punkt auf 25,5 Prozent anheben lassen – ein warmer Regen, und völlig unerwartet. Hatten doch Lula und seine Mannschaft stets angekündigt, jene absurden Leitzinsen sofort zu senken, da sie Wachstum hemmen, Arbeitsplätze vernichten, nur Bankiers, Spekulanten begünstigen.  Da beklatschte man in den Alpen natürlich freudig, wie der Brasilianer gegen Hunger und  Misere wetterte, die bekannten unverbindlichen Vorschläge zu deren  Behebung machte, Davos 2003 einen ganz anderen Drive gab.

 Das Weltwirtschaftsforum  litt arg unter Ansehensverlust – aber mit so einem wie Lula als Zugpferd hätte man wieder bessere Karten, positive Ausstrahlung. Brasiliens FAZ, der „Estado de Sao Paulo“ titelte sogar: „Lula kann Davos retten“. Denn selbst mit so viel Beifall von der falschen Seite gelang es ihm sogar, zuvor auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre die Massen zu begeistern. „Ich werde nichts falsch machen, die ehrlichste Regierung in der Geschichte  dieses Landes auf die Beine stellen – ganz den Armen gewidmet“, rief  der neue „Lider mundial“, „unser Wahlsieg gibt den Linken der ganzen Welt neue Hoffnung!“ Die Rechte, auch die im eigenen Lande, kann mit solchen populistischen Ausrutschern sehr gut leben – denn nie zuvor haben Führer der Arbeiterpartei PT  archaische Figuren eingewurzelter Oligarchien so hofiert wie derzeit. Daß die PT-Spitze um Lula alles daransetzen würde, den Ex-Diktaturaktivisten, früheren Staatschef und Latifundista übelster Sorte, Josè Sarney,  zum Chef des Nationalkongresses zu machen, verschlug  altgedienten Companheiros die Sprache, war indessen dem Gros der Lula-Sympathisanten von Porto Alegre schlichtweg nicht bekannt. Andernfalls  wären die Proteste gegen seinen Regierungskurs, die Davos-Teilnahme heftiger ausgefallen. PT-Chef Josè Genoino bekam stellvertretend eine Erdbeertorte ins Gesicht – wegen der „Anmaßung“ Lulas, in der Schweiz die Globalisierungskritiker vertreten zu wollen, sich zum Sprecher der sozialen Bewegungen aufzuspielen, sie für seine Zwecke zu nutzen. Auf der Kundgebung des Ex-Arbeiterführers beim Weltsozialforum war die PT-Führung  auf solche Proteste vorbereitet, und hatte vorgebaut  – Jubel dominierte, Lula wurde daraufhin auch in Deutschlands tonangebenden Medien als Star der sechstägigen Veranstaltung herausgestellt. Dabei wimmelte es in Porto Alegre geradezu von prominenten innerparteilichen Kritikern, die – man kennt solches aus der deutschen PDS, von den Grünen, der SPD –  ihre Ideale, aber auch das Parteiprogramm verraten sehen, kräftig den Mund aufmachten. Weil solches Verhalten  die Regierungsfähigkeit gefährdet, drohen ihnen jetzt Ausschlußverfahren.

Lula als Hoffnungsträger, Führer der Globalisierungsgegner, der Welt-Linken?  Angst vor echten, tiefgreifenden   Veränderungen habe längst die Hoffnung besiegt, wirft  nicht nur die angesehene PT-Kongreßsenatorin Heloisa Helena  der Lula-Regierung vor. Anstatt einen historischen Moment zu nutzen, demonstriere man Schwäche, stelle die Weichen völlig falsch. Und damit sehe es schlecht aus für mehr Beschäftigung, eine Anhebung der skandalösen Billigstlöhne, das heiße Eisen der öffentlichen Sicherheit. Linke Blätter, linke Kolumnisten fangen an, Lula satirisch-humorig zu demontieren. Haben wir den zwar gewählt, aber einen zweiten Lech Walesa gekriegt, fragt die Zeitschrift „Pasquim“ und mutmaßt, daß Lula bei seinem Bush-Besuch  wohl klammheimlich, nachts, als er im Hotel schlief, ein Mikrochip ins Gehirn implantiert wurde – damit er auf die Washingtoner Linie einschwenkt.

Bei aller Kritik am Weltsozialforum –  Porto Alegre 2003  schmiedete wichtige Bündnisse und Netzwerke gegen neoliberale Globalisierung, brachte Aktivisten aus aller Welt zusammen. Über Resultate erfuhr man auch in Deutschland sehr wenig  - die großen Kommerzblätter  widmen der Dritten Welt dank zunehmender Medienzensur und Provinzialisierung nicht einmal mehr zehn Prozent der Auslandsnachrichten. Venezuelas Regierung, deren  Anhänger in den unteren Schichten,  werden  in der jetzigen Krise von Deutschlands Friedens-und Drittweltbewegten größtenteils arg im Stich gelassen – da mußte  Präsident Chavez und seiner Mannschaft sehr willkommen sein, vom Weltsozialforum Rückenstärkung und politischen Prestigegewinn zu erfahren.  Wie es aussieht, hat sich das zuhause in Caracas bereits ausgezahlt.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

Jagen wie bei Hermann Göring
Ost-Naturschützer protestieren gegen neofeudales West-Jagdrecht
Ost-Umweltklischees und die Fakten
Truppenübungsplätze von NVA und Sowjetarmee waren Naturrefugien

Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

Klaus Hart veröffentlichte außerdem im trend folgende Artikel: