Über die Grundlagen unserer Veröffentlichungspraxis
Stellungnahme der Redaktion
anlässlich der Veröffentlichung zweier Texte als "besondere Dokumente" in der Nr. 1-05
02/05

trend

onlinezeitung


Nach der Spiegelung eines Artikels aus der Islamischen Zeitung (1) und der virtuellen Verbreitung eines in der INTERIM erschienenen Textes (2) in der TREND Januarausgabe 2005, die sich beide jeweils auf ihre Weise mit der antideutschen Ideologie auseinandersetzen, erhielten wir einige Mails, worin dies als "hard stuff" bezeichnet wurde. Befürchtungen wurden geäußert und mit der Frage "quo vadis, trend?" verbunden. 
 

Wir nehmen dies zum Anlass, unser politisches Selbstverständnis und unsere Positionen in Sachen Internetpublizistik thesenartig zusammenzufassen, wie diese seit 1996 gewachsen sind. Dieser Rückblick (3) soll gleichsam eine Bilanz sein, die den Standpunkt der Redaktion in der Diskussion um die Grundlagen eines politischen Beirats (4) deutlicher werden lässt.  

1)
Wir gehen davon aus, dass der Kommunismus nur durch das bewußte Handeln der assoziierten ProduzentInnen zu erlangen ist. Dies setzt die Kenntnis der aufzuhebenden Gesetzmäßigkeiten des waren- und geldförmigen Kapitalismus durch eben diese ProduzentInnen und eine positive Bestimmung des Verhältnisses von sozialer und individueller Emanzipation voraus. 

2)
Jene Emanzipation kann sich nur unter den historischen Bedingungen vollziehen, wie sie die  handelnden Subjekte selber vorfinden. Die fortschreitende Wertvergesellschaftung zerbrach nicht nur den nationalstaatlich verfassten Sozialismus, sondern lässt mit dem gleichen rasanten Tempo die kapitalistischen Staaten erodieren.  Nation und Volk existieren in den spätkapitalistischen Metropolen nur noch als imaginierte Begriffe, deren Begriffsinhalte höchstens noch gesellschaftliche Verhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Mit ihnen ist es nicht mehr möglich, die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts, die „zum Tanzen gebracht“ werden sollen, zu begreifen. So werden konzeptionelle Überlegungen, die für das politische Handeln der ArbeiterInnenbewegung bisher bestimmend waren, zu Auslaufmodellen. Volk und Nation heute zu theoretischen und praktischen Bezugspunkten für eine soziale Emanzipation in den spätkapitalistischen Metropolen machen zu wollen, ist reaktionär.  

3)
Unter diesen Voraussetzungen verstehen wir unter Rückbesinnung auf den Marxismus die notwendig gewordene Modernisierung dieses theoretischen Werkzeugkastens.  Solch ein Marxismus auf der "Höhe der Zeit" bedeutet freilich auch das Verhältnis von Bruch und Kontinuität im Hinblick auf die ArbeiterInnenbewegung, ihre Strömungen und Flügel solidarisch und nicht denunziatorisch zu entfalten. 

4)
Die Modernisierung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie kann aber nicht Vereinseitigung und/oder Entsorgung relevanter Teile bedeuten, wie sie vornehmlich von den WertkritikerInnen und anderen Neo-RevisionistInnen betrieben werden. Statt theoretisch fundierter Einsichten in ökonomische Strukturen und Unterdrückungszusammenhänge zum Zwecke ihrer Aufhebung liefern sie feuilletonistische Beiträge, die mit der ranzigen Message befrachtet werden, so wie bisher kann es nicht weitergehen. Wie es jedoch jenseits des Kapitalismus weitergehen kann/soll, d.h. was der Kommunismus ist und warum es sich "lohnt", sich dafür einzusetzen und den Kapitalismus aufzuheben, ist bei ihnen nicht zu lesen. 

5)
Der TREND ist seit Januar 1996 ein rein virtuelles Erzeugnis, dessen publizistische Konzeption im Laufe der Jahre verändert wurde. Zunächst war er eine Mischung aus Nachrichten- und Verlautbarungsorgan für das linke und radikale Spektrum im Internet. Theoretische Artikel ergänzten die Palette. Im Laufe der Zeit wurde der TREND zur Starthilfe für andere Projekte, die den Weg ins Internet gehen wollten. Die Unterstützung reichte im Laufe der Jahre von der SOZ über den Stressfaktor, dem Gegeninformationsbüro bis zu den LINKEN BUCHTAGEN. Zu diesem Zwecke schuf der TREND gemeinsam mit anderen das PARTISAN.net, aus dem das INFOPARTISAN.NET als Portal- und Archivseite für linke Politik 2004 hervorging.

6)
Heute ist der TREND hauptseitig ein Theorieorgan für linke Politik. dh. in Umkehrung der Ausgangsituation von 1996 stehen nun statt aktueller Berichterstattung theoretische Texte im Vordergrund. Die Textauswahl erfolgt strömungsübergreifend, damit von herrschenden Meinungen abweichende sozialemanzipatorische Ansichten eine Internetplattform erhalten. Hintergründe und Gegenstandpunkte zu veröffentlichen ist ein Markenzeichen des TREND. Die konkrete Utopie einer Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung und die Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sind daher Ziel und Inhalt unserer journalistischen Praxis.

7)
Von daher könnte unser Veröffentlichungskonzept als "teilnehmende Beobachtung" definiert werden. Dieser Begriff war in den 70er Jahren unter Sozialwissenschaftlern recht verbreitet und sollte signalisieren, dass jene nicht bereit waren, den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess in der Faktenhuberei der empirischen Sozialforschung verkommen zu lassen. Im Prozess der Untersuchung sollten statt dessen die Untersuchungsobjekte in dialektischer Weise zu Subjekten des Prozesses werden und umgekehrt, die Forschenden zu Lernenden. In diesem Sinne glauben wir durch das Gegeneinanderstellen sich widerstreitender Auffassungen das Wissen der Leute zu verbreitern, damit diese in einen Dialog treten und - wenn es gelingt - ihre An- und Einsichten ins wirkliche Leben hineintragen. 

Solche Entwicklungen in Sachen Theorie seit 1996 kontinuierlich zu dokumentieren, machten den TREND zum Spiegel und Archiv dessen, was Linke theoretisch umtreibt und welche praktische Politik sich daraus ableitet. Darüber hinaus diente der TREND als virtueller Gedächtnisspeicher, um ausgegrenztes oder totgeschwiegenes Wissen für linke Politik wieder zugänglich zu machen. Die Methode, die wir dabei anwenden, kann folgendermaßen beschrieben werden:

Wir verbreiten sowohl bereits veröffentlichte Texte durch Spiegelung als auch bisher unveröffentlichte, um sie dadurch neu zu samplen bzw. zu remixen. Diese besondere Sammelwerkmethode schafft neue Sichtweisen und Einsichten in bereits bekannte Zusammenhänge und Strukturen. Bestimmte Informationen, die zuvor als marginal galten, können so eine zentrale Bedeutung erlangen.

8)
Damit beansprucht der TREND Teil der linken Gegenöffentlichkeit in Internet zu sein. Allerdings machen wir nicht bei dröger Faktenhuberei und redundantem Info-Broking mit. Wir überlassen es anderen, bürgerliche Nachrichtendienste abzugrasen und deren News - nach Reizwörtern sortiert - in linke Infokanäle einzuspeisen, um die dort bereitgehaltenen Nachrichten aus den eigenen Zusammenhängen zu komplettieren.

9)
Die Herstellung des TREND erfolgt rein virtuell. Dadurch sind die Kommunikationsstrukturen, die zu seiner Herstellung nötig sind, überwiegend auch virtuell. Dennoch streben wir, seitdem es den TREND gibt, seine Verknüpfung  mit dem "wirklichen Leben" an. Formen, in denen dies geschieht, waren bisher: Veranstaltungen, Seminare, Gesprächsrunden, Plena und Konferenzen, wobei die jeweilige Tagungsform dem Inhalt geschuldet war. 

10)
Indem der TREND in politischen Zusammenhängen jenseits des WWW durch jene Menschen präsent war, die als LeserIn, RedakteurIn oder AutorIn mit ihm verbunden sind, entstanden reale Kommunikationsstrukturen entlang des TREND. Gegenwärtig läuft der Versuch aus einem Teil dieser Strukturen einen festen Arbeitszusammenhang zu schaffen, der in der Form eines politischen Beirats direkten Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des TREND (z.B. Themenschwerpunkte, Veranstaltungen, virtuelle Archive) erhält.

TREND-Redaktion
Februar 2005

Anmerkungen

1) Gemeint ist der Artikel "Wenn Islamkritik zur Ideologie wird" aus der Islamischen Zeitung vom 30.12.04.  Durch seine Dokumentierung, er erschien in der Rubrik "das besondere Dokument", sollte vermittelt werden, mit welchen Argumentationsfiguren islamische Kreise  "antideutschen" Angriffen begegnen. 

2) In der selben Rubrik erschien gleichzeitig "Eine Polemik - wider den deutschen Zuständen in der Linken", ein Statement aus der Interim 608, worin die inhaltlichen Grenzziehungen, die im autonomen Spektrum gegen "antideutsche" Kräfte vorgenommen werden, gleichsam exemplarisch aufgeführt sind. Beide Artikel durch uns zusammenmontiert, weisen  inhaltliche Schnittstellen aus, obwohl es sich hier um völlig voneinander unabhängige Diskurszusammenhänge handelt. 

3) Mit diesem Rückblick werden jene Ansichten und Standpunkte zusammengefasst, wie sie seit den Anfängen des TREND darin – meistens als Editorial – veröffentlicht wurden: 

4) Im Januar 2005 gab es dazu ein erstes Treffen, wo Leute aus verschiedenen Zusammenhängen beschlossen, einen politischen Beirat für den TREND aufzubauen. Ein zweites Treffen ist für März 2005 geplant.