Berichte aus Brasilien
Lulas Rio-Skandal
Enge politische Freunde wegen Geldwäsche-und Erpressungsaffäre im Zwielicht - Millionen auf Schweizer Konten

von Klaus Hart

03/03
 
 
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Kurz nach Staatschef Lulas gefeiertem Auftritt beim Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos beschäftigt sich die Berner Regierung mit einem bizarren Geldwäsche-und Erpressungsskandal, der auch Brasilia politisch in die Bredouille bringen könnte. Enge Vertraute Lulas, wie die neue Sozialministerin Benedita da Silva, und andere Schlüsselfiguren seiner Regierungskoalition hatten offenbar Kenntnis von einem Netz hoher Fiskalbeamter, das von Großfirmen des Teilstaates Rio de Janeiro nach bisherigen Erkenntnissen mutmaßlich hohe Summen erpreßte und mindestens fünfzig Millionen Franken auf Schweizer Konten deponierte. Der Fall kam nur ins Rollen, weil bei der zur Union Bancaire Privèe(UBP) gehörenden Discount Bank & Trust Company verdächtige Konten entdeckt wurden und die schweizerische Bundesanwaltschaft daraufhin seit August letzten Jahres gegen mehrere brasilianische Staatsangehörige ermittelt. Brasilia wurde um Rechtshilfe ersucht - den dortigen Behörden blieb nichts weiter übrig, als nun ebenfalls längst überfällige Ermittlungen zu starten - nicht zuletzt, weil die Presse des Landes dem Skandal täglich Schlagzeilen widmet, zum Unwillen der verwickelten Politiker. Die Gang auch politisch einflußreicher Staatsbeamter wird inzwischen unter „organisiertes Verbrechen“ eingestuft - ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß will Politiker der Lula-Regierungskoalition vorladen.

Der erste heiße Tip kam, wie es hieß, von einer Schweizer Firmenfiliale des Chemie-oder Pharmaziesektors in Rio: Diese teilte dem Stammsitz mit, ein Bestechungsgeld von drei Millionen Dollar zahlen zu müssen, nannte das entsprechende Schweizer Konto. Die tiefverwurzelte Korruption ist für europäische Begriffe mehr als haarsträubend. Nicht nur Insider wissen, daß politisch einflußreiche Staatsbeamte seit Jahrzehnten auch ausländischen Firmen wegen Lappalien, etwa unvollkommen ausgefüllten Formularen, oder angeblichen Gesetzesverstößen gigantische Strafgelder in Millionenhöhe androhen. Und zugleich anbieten, bei Zahlung eines Bestechungsgeldes natürlich davon abzusehen. Nur zuviele Firmen gehen angesichts fehlender Rechtsstaatlichkeit darauf ein.

Soweit bekannt, forderte der Direktor eines multinationalen Unternehmens deshalb in den letzten Jahren persönlich den damaligen Gouverneur Anthony Garotinho auf, wegen eines solchen Falles seinem obersten Fiskalbeamten Rodrigo Silveirinha und dessen Komplizen endlich das Handwerk zu legen. Garotinho, ein Sektenanhänger, zudem starker Mann der zu Staatschef Lulas Koalition gehörenden Sozialistischen Partei(PSB) habe jedoch absolut nichts unternommen. Silveirinha gilt als Kopf einer Gang von weit über einem Dutzend hoher Fiskalbeamter der Teilstaats - aber auch der Bundesregierung, die etwa seit 1999 enormen Geld-und Immobilienbesitz anhäufte, zudem Firmen gründete, ein Luxusleben führte. Staatschef Lulas neue Sozialministerin Benedita da Silva, aus seiner sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT, war zunächst Vizegouverneurin Garotinhos, wegen dessen Präsidentschaftskandidatur dann Gouverneurin Rios, muß daher ebenso wie andere PT-Politiker von den Vorgängen um Silveirinha gewußt haben. Den neuesten brasilianischen Polit-Thriller macht komplett, daß Silveirinha den „Sozialistischen Jugendverband“ der Demokratischen Arbeitspartei (PDT) leitete, wie es hieß, sogar enge Kontakte zu PDT-Chef Leonel Brizola unterhielt, der Vizepräsident der Sozialistischen Internationale ist. Auch Brizolas PDT gehört zu Staatschef Lulas Koalition, bekam hohe Regierungsämter.

Alle Beschuldigten wurden zwar von ihren Ämtern suspendiert, sind aber weiter auf freiem Fuß. Und bestreiten derzeit noch sämtliche Vorwürfe - Silveirinha sogar sein Konto in der Schweiz. Ex-Gouverneur Garotinho polterte anfangs, einen Senhor Silveirinha gar nicht zu kennen - inzwischen kam heraus, daß er zu den wichtigsten politischen Mitarbeitern zählte, auch seiner Frau Rosinha Garotinho im Wahlkampf behilflich war. Denn die ist jetzt Gouverneurin und hatte Silveirinha beim Amtsantritt zu Jahresbeginn prompt mit dem Posten des Präsidenten der staatlichen Gesellschaft für industrielle Entwicklung Rio de Janeiros belohnt.

„Straftäter und Autoritäten sind Komplizen“

Bereits 1992 hatte der zu Lulas Arbeiterpartei PT gehörende Abgeordnete Carlos Minc betont:“In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen - das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Slums, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschenrechte der Rio-Bewohner mißachten.“

Derzeit macht sich Carlos Minc erneut in der politischen Szene Brasiliens sehr unbeliebt, weil er energisch wie kein anderer auf eine lückenlose Aufklärung des Skandals dringt, Druck auf die Ermittlungsbehörden macht, die sofortige Verhaftung aller Beschuldigten - wegen akuter Fluchtgefahr - fordert. Der von Minc geleitete Untersuchungsausschuß hat auch zu klären, ob die damalige PT-Gouverneurin - und heutige Sozialministerin - Benedita da Silva die französische Supermarkt-Gruppe Carrefour und einen Coca-Cola-Abfüllbetrieb begünstigte, deshalb im Gegenzug hohe Wahlspenden erhielt. Gegen das Ehepaar Garotinho wird in gleicher Sache ermittelt.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.:

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