Berichte aus Brasilien
D i e positive Nachricht
Neue Regierung geht offenbar rigoros gegen Sklavenhalter vor - In fünfundvierzig Tagen über achthundert Sklavenarbeiter befreit Optimismus bei kirchlichen Menschenrechtsaktivisten

von Klaus Hart

03/03
 
 
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Staatschef Lula hat Anfang März ein Maßnahmenpaket zur Austilgung der nach wie vor existierenden Sklaverei verkündet, das kirchliche Menschenrechtler, die sich seit jeher am aktivsten gegen die "Escravidão" engagieren, als "extrem positiv" bewertet haben. Danach sollen sich mehre Ministerien an Sofortaktionen beteiligen, um möglichst viele Sklavenarbeiter zu befreien. Gesetzesvorlagen von Lulas Arbeiterpartei PT sehen vor, daß Großgrundbesitzer, die in flagranti als Sklavenhalter überführt wurden, nicht mehr in Freiheit auf ihren Prozeß warten können - sondern nun noch hinter Gittern. Fazendas, die Sklavenarbeiter beschäftigen, sollen zudem entschädigungslos enteignet und im Zuge der Agrarreform an Landlose übergeben werden. Lula nannte das Problem eine "nationale Schande". Arbeitsminister Jaques Wagner sagte, in den vier Amtsjahren dieser Regierung solle zumindest die systematische Form der Sklavenarbeit verhindert werden.

Fernab der Metropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro, daher von den Landesmedien kaum registriert, geschieht derzeit für brasilianische Verhältnisse geradezu Sensationelles.
Schauplatz Amazonasteilstaat Parà, mehr als dreimal so groß wie Deutschland - die Riesenfazenda Santa Ana. Jeeps einer Spezialeinheit der Bundespolizei preschen heran, Beamte mit Maschinenpistolen stürmen den feudalen Herrensitz, überwältigen bewaffnete Wächter, finden in den Pflanzungen rasch, wonach sie suchen, befreien über 140 Sklavenarbeiter. Der Fazendabesitzer Augusto Farias, ein früherer Kongreßabgeordneter, und dessen Frau Eleuza reagieren arrogant wie üblich. Lohn, gar Entschädigung an die befreiten Sklavenarbeiter, wie es die Gesetze vorschreiben - das komme gar nicht in Frage. Doch jetzt weht ein anderer Wind: Beide, dazu fünf ihrer Gutsverwalter, werden verhaftet, ins nächste Gefängnis gebracht - per Satellitentelefon blockiert man ihre Konten. Kaum zu glauben - auch diese Sklavenfazenda wurde wie viele andere aus öffentlichen Mitteln kräftig subventioniert. Die Landarbeiter kommen vorerst in ein Auffanglager der katholischen Landpastoral CPT bei Redenção - dort werden bereits mehrere hundert andere Ex-Sklaven betreut. Die Pastoral hatte gegen die Sklavenfazenda Anzeige erstattet. Regionalleiter ist Henri des Roziers, 73, Dominikaner, Menschenrechtsanwalt, befreiungstheologisch orientiert, geboren in Paris - doch seit 24 Jahren im archaischen, neofeudalen Hinterland von Parà - wilder Westen Brasiliens, Schlammstraßen, schwüle Hitze bis über vierzig Grad, alles von Rio, Sao Paulo über dreitausend Kilometer entfernt. "Erstmals zeigt eine Regierung echten politischen Willen, die Sklavenarbeit restlos auszutilgen", sagt Roziers zum Trend, "seit Januar ist diese Spezialeinheit pausenlos im Einsatz. Bei der Vorgängerregierung kam sie nach unseren Anzeigen meist viel zu spät - da hatten die Fazendeiros schon Lunte gerochen, alle Sklavenarbeiter davongejagt. Bisher blieben die Schuldigen so gut wie immer straffrei, das war das große Problem. Doch jetzt lassen sich die Justizbehörden, die Polizei nicht mehr einschüchtern."

Anwalt Roziers erhielt zahlreiche Morddrohungen, wurde verfolgt, denn die Macht der neofeudalen Großgrundbesitzer wurde bislang nie angetastet. Sein Pastoralkollege Chavier Plassat, ebenfalls Franzose, aus Lyon, Dominikaner, Anwalt, steht auch auf einer Todesliste - konstatiert Überraschendes: "Viele von diesen Fazendeiros haben erstmals richtig Angst! In nur 45 Tagen wurden alleine in Parà immerhin 827 Sklavenarbeiter befreit - auf Anzeigen, die zu über neunzig Prozent von unserer Landpastoral stammen, regiert die Spezialeinheit sofort, ist jetzt ständig hier präsent. Verhaftungen, Kontenblockierung - alles wird gleich vor Ort entschieden, alle zuständigen Behörden, Ministerien, das Staatssekretariat für Menschenrechte gehen koordiniert vor - arbeiten gut mit uns zusammen. Bei der vorigen Regierung passierte genau das Gegenteil - da wurden hohe Politiker, die auf ihren Farmen Sklavenarbeiter hatten, geschont, drückte man ein Auge zu." Andere Teilstaaten mit Sklavenarbeitern - Piaui, Maranhão, Tocantins, Mato Grosso.

Noch mindestens 25000 Sklavenarbeiter

Seit Staatschef Luis Inacio "Lula" da Silva Anfang Januar in den Präsidentenpalast von Brasilien einzog, sind zehn Bundesanwälte nur für die Sklavereibekämpfung zuständig - und haben reichlich zu tun. Denn unter Lulas stramm neoliberalem Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso, selber ein Großgrundbesitzer, nahm die Sklavenarbeit laut CPT wieder deutlich zu. Cardoso ist hochgelobter Ehrendoktor der Freien Universität Berlin - typisch für die heutigen Zustände in Deutschland: Weder Uni-Verwaltung noch Studentenverbände nahmen Anstoß daran, daß Cardoso auch für andere gravierende Menschenrechtsverletzungen, darunter Polizeimassaker an Landlosen, politisch hauptverantwortlich ist. Daß da im fernen Brasilien, Hauptempfänger deutschen Kapitals in der Dritten Welt, ganze Familien sogar mit ihren Kindern schuften müssen, bewacht von Aufsehern mit Gewehren, scharfen Hunden - kein Thema für Cardosos rot-grün-neoliberale Kumpane, Claudia Roth nie einen Protest wert. Wirtschaftsinteressen haben wie unter Kohl Priorität.

Laut Regierungs-und Pastoralangaben sind derzeit brasilienweit noch mindestens 25000 Menschen betroffen, müssen noch entdeckt, befreit werden. Viele Sklavenarbeiter, so Dominikaner Plassat, werden schon beim simpelsten Fluchtversuch ermordet, zur Abschreckung. Er betont, daß das im März verkündete Maßnahmenpaket zur Austilgung der "Escravidão" nicht von der neuen Regierung erarbeitet wurde, sondern weitgehend auf Vorschlägen, Forderungen der Landpastoral basiert. Die Lula-Regierung fordert jetzt vom Nationalkongreß, Gesetzesvorlagen für strengere Strafen endlich rasch zu beschließen.

Im riesigen Parà ist die CPT nur ein winziger Haufen von gerade zweiundzwanzig Leuten, in ganz Brasilien, vierundzwanzigmal so groß wie Deutschland, sind es gerade an die 225 Pastoral-Aktivisten - hochmotiviert, idealistisch, risikobereit - Plassat hat monatlich keine 450 Euro zum Leben. "Wir sind derzeit sehr optimistisch - aber wenn die Regierung von ihrer jetzigen Linie abweichen sollte, werden wir das natürlich kritisieren, Druck machen - so wie früher."
 

Editorische Anmerkungen

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.:

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