Berichte aus Brasilien
Lula-Regierung will Siemens-Atomkraftwerk Angra III fertigstellen
Greenpeace protestiert
von Klaus Hart

09/03
 
 
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Die neue brasilianische Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva ist entschlossen, bei Rio de Janeiro ein weiteres Atomkraftwerk des Biblis-Typs namens Angra III errichten zu lassen - für umgerechnet über zweieinhalb Milliarden Euro. Im Jahre 2000 hatte Siemens-KWU in derselben Bucht den Atommeiler Angra II fertiggestellt, doch die Vorarbeiten für Angra III ruhten seit langem. Greenpeace Brasilien hat jetzt eine Kampagne gegen den Weiterbau gestartet, schloß dafür eine internationale Koalition mit anderen Umweltorganisationen. In der engen Bucht in Brasiliens einziger erdbebengefährdeter Region steht auch Angra I, von Westinghouse.

Die populäre Rocksängerin Rita Lee aus Sao Paulo unterstützt die Greenpeace-Kampagne gegen Angra III. „Die ganze Welt ist besorgt über die Gefahren des atomaren Abenteuers“, sagt sie in landesweit ausgestrahlten Fernseh-und Radiospots, „Atomkraftwerke sind unsicher, teuer und überholt.“

Brasiliens neuer Technologieminister Roberto Amaral sieht dies anders, verweist darauf, daß Brasilien immerhin bereits über siebzig Prozent der Ausrüstungen für Angra III eingekauft hat - das meiste davon lagert seit mehr als zehn Jahren eingeschweißt in Metallfolie am Bauplatz, was Kosten von etwa zwanzig Millionen Euro jährlich verursacht. Zudem besitzt Brasilien eigene Uranvorkommen, kann inzwischen Kernbrennstoff herstellen. Noch 2002 hatten die deutschen Umweltverbände an den damaligen brasilianischen Staatschef und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso appelliert, Angra III nicht fertigzubauen, das Nuklearprogramm Brasiliens endgültig aufzugeben. Doch genau das Gegenteil geschah. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit verfügte Cardoso die Wiederaufnahme des Projekts, handelte, wie durchsickerte, mit seinem voraussichtlichen Nachfolger Luis Inacio Lula da Silva aus, daß auch dieser Angra III grünes Licht gibt. Der Ex-Gewerkschaftsführer Lula und seine Arbeiterpartei sind keineswegs prinzipiell gegen Atomkraft - und Lulas politische Bündnispartner aus dem rechten Lager wollen Angra III seit langem, die Lobby ist stark.

Lula, Baukonzerne, Nukleokraten, Militärs, deutsche Regierung

„Hauptsächlich die großen Baufirmen, Betonfabrikanten, Ingenieurbüros, die Lulas Wahlkampagne mit hohen Summen unterstützten, wollen jetzt im Gegenzug Bauaufträge“, sagt Sergio Dialetachi, der die Greenpeace-Kampagne gegen Angra III leitet, im Trend-Interview. „Zur Lobby zählen aber auch die Nukleokraten selber, also die Leute der internationalen Atomindustrie, für die es immer schwieriger wird, noch irgendwo neue Atommeiler zu errichten, neue Märkte zu erschließen. Interessiert sind zudem die brasilianischen Streitkräfte, die verfassungswidrig ein vom Kongreß nicht kontrolliertes paralleles Atomprogramm betreiben. Die Lula-Regierung gab zudem jetzt bekannt, daß das Projekt eines Atom-U-Boots wiederaufgenommen wird. Und die deutsche Regierung ist vom Atomvertrag mit Brasilien nicht zurückgetreten, weil sie im Geschäft bleiben will, Nutzen ziehen möchte aus der Vermittlung von Ausrüstungskäufen durch die französische Framatome.“

Fertiggestellt würde Angra III nicht mehr alleine von Siemens-KWU - denn das deutsche Unternehmen hat den Kernenergiebereich inzwischen mit dem staatlichen französischen Konzern Framatome fusioniert. Laut Sergio Dialetachi haben die Dresdner Bank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und französische Banken bereits Gelder für Angra III bereitgestellt - der Finanzierungsmechanismus sei also bereits im Gange. Viele Gründe sprächen gegen Angra III.

“Nur 1,8 Prozent des brasilianischen Stroms kommen derzeit aus den zwei existierenden Atomkraftwerken - durch Angra III würde sich dieser Anteil nur um ein einziges Prozent erhöhen. Wozu dieses hohe Umwelt-und Gesundheitsrisiko eingehen, da wir Angra III doch gar nicht brauchen? Aber wie es aussieht, wurde das Projekt schon weit vorangetrieben - es dürfte für uns schwierig sein, das noch aufzuhalten. Alle Indizien zeigen, daß die Entscheidung schon letztes Jahr gefallen ist.“

Auch der Direktor des staatlichen Energiekonzerns Eletrobras, Luiz Pinguelli Rosa, äußerte sich zugunsten von Angra III. Für Greenpeace schwer zu schlucken - denn Rosa war Berater der Umweltorganisation gegen Angra II, veröffentlichte dazu sogar ein Buch. Noch so ein Umfaller, mit denen nicht nur Brasilien reich gesegnet ist.

Umweltschutz zum Tauschobjekt degradiert

Dialetachi sieht unter Staatschef Lula und seiner Umweltministerin Marina Silva die Umwelt, den Umweltschutz zum Tauschobjekt, zur Manövriermasse für alle Politikbereiche herabgestuft. „Siehe gentechnisch veränderte Pflanzen - um von der Großagrarier-Vertretung im Nationalkongreß die Unterstützung für die neue Rentenreform zu erlangen, liberalisierte man den Genpflanzen-Bereich. Und beim Waldgesetz schlägt man eine Änderung vor, die mehr Abholzung als bisher erlauben würde. Die Regierung macht antiökologische Tauschangebote, um Gegenleistungen zu erreichen. Wenn man mit einem Partner in Verhandlungen nichts erreicht, bietet man etwas aus dem Umweltbereich an - und so klappt es dann.“

Doch wie steht die brasilianische Öffentlichkeit zu den Atomplänen? Schwer zu übersehen, daß die Bewohner eines von Massenelend, Rekordarbeitslosigkeit und extrem hoher Gewaltkriminalität gezeichneten Landes andere Sorgen haben.

„Die Stadt Angra dos Reis nicht weit vom Bauplatz hat über 150000 Einwohner, ist von Slums übersät. Für die Leute dort hat Vorrang, daß ihre Behausungen beim nächsten Tropenregen nicht einstürzen, der letzte größere forderte über vierzig Menschenleben. Und daß sie Reis und Bohnen für den nächsten Tag haben, daß sie überhaupt überleben. Die ganze Atomproblematik, das Risiko eines Atomunfalls - all das beschäftigt, erreicht diese Leute nicht, ist ihnen sehr fern - das Überleben im Alltag hat Vorrang.“

Dialetachi macht eine interessante Rechnung auf: „Die Staatsfirma Eletronuclear kostet den Steuerzahler täglich rund 300000 Euro - das ist dreimal soviel wie der größte Umweltetat hier in Brasilien - jener des Teilstaates Sao Paulo.“

„Umweltministerin sollte zurücktreten“

Stark enttäuscht ist Greenpeace von der neuen brasilianischen Umweltministerin Marina Silva, die bislang jede klare Stellungnahme zu Angra III vermieden hat. Sie gehört zu Staatschef Lulas Arbeiterpartei PT - und ebenso wie die schwarze PT-Sozialministerin Benedita da Silva zu einer mehr als fragwürdigen Wunderheiler-Sektenkirche, der „Assembleia de Deus“, Gottesversammlung.

„Die Wahrheit ist, daß die Arbeiterpartei von den Umweltorganisationen nie viel gehalten hat, sie auch jetzt verachtet. Bislang haben wir die Umweltministerin geschont, haben abgewartet, Zusammenstöße vermieden. Doch jetzt zeigt sich, daß wir im Umweltschutz alle Kämpfe verlieren können. Und gehen deshalb in die offene Konfrontation mit Lula und Marina Silva. Nicht mal für Amazonien hat sie was erreicht, sollte besser zurücktreten, um ihren guten internationalen Ruf zu retten. Die Lage ist ziemlich kompliziert, chaotisch und frustrierend. Die öffentliche Meinung der Welt ist derzeit viel mächtiger als die hier in Brasilien - wir sind sehr geschwächt, haben wenige Leute, um diese vielen Umweltprobleme anzugehen.“

Dialetachis Greenpeace-Büro liegt mitten in der Megametropole Sao Paulo, seit mehreren Jahren regiert von der PT-Präfektin Marta Suplicy, Vizechefin der Arbeiterpartei. Ein Blick über die Stadt sagt mehr als jede Studie über die grauenhafte, antisoziale Umweltpolitik der Elitedame: Dicker gelb-rötlicher Dauersmog, der heftige Kopfschmerzen verursacht, die Krebsrate besonders bei den Slumbewohnern stetig nach oben treibt, knatternde Privathubschrauberflotten der Reichen - und immer haben Autos Vorrang vor dem prekären öffentlichen Nahverkehr, auf den die übergroße Mehrheit der Stadtbewohner angewiesen ist. Deshalb tägliche Dauerstaus bis über zweihundert Kilometer. Das von einem rechtskonservativen Politiker regierte Rio de Janeiro hat bereits mehr als hundert Kilometer Fahrradwege - doch die pseudolinke Marta Suplicy von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei hat bislang mit Bravour verhindert, daß Sao Paulo ein Radwegenetz, wenigstens im Zentrum ein paar „Ciclovias“ erhält - alte Forderung der Umweltschützer.

Atom-Kooperation deutscher Sozialdemokraten mit Foltergenerälen

Die Geschichte des brasilianischen Atomprogramms ist aufschlußreich. 1975 schließt der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Foltergenerälen der damaligen Militärdiktatur den deutsch-brasilianischen Atomvertrag - zu einer Zeit, da auf der Gefängnisinsel Ilha Grande unweit des AKW-Bauplatzes ungezählte politische Gegner barbarisch gefoltert und danach vor der Traumküste lebendig den Haien zum Fraß vorgeworfen werden. Siemens-KWU steckt in wirtschaftlichen Nöten - der Verkauf von AKW und Anreicherungstechnologie an Brasilien bringt die Rettung, ist zugleich das größte deutsche Exportgeschäft aller Zeiten. Und treibt Brasiliens Außenschulden kräftig nach oben. 2001, auf einer Pressekonferenz Umweltminister Trittins mit seinem damaligen brasilianischen Amtskollegen Sarney Filho fragte Trend im Berliner Hilton-Hotel nach, wie beide Minister zum heftig umstrittenen Atomeinstieg mit deutscher Hilfe stehen. Sarney Filho antwortete kurioserweise überhaupt nicht, Minister Trittin nur äußerst knapp:“Die Entscheidung, wie Dinge in anderen Ländern gestaltet werden, müssen sie anderen Ländern überlassen - wir würden uns von anderen auch nicht reinreden lassen, wie wirs machen. Wir hielten es für eine Form falschverstandener Technologiepolitik, die Technologie, die wir bei uns aus guten Gründen ausmustern, entsprechend zu exportieren.“ Indessen, Angra II wurde fertiggebaut - nun kommt Angra III dran. Wohin der Atommüll der Atomkraftwerke soll, ist unklar, der von Angra I wird in Wasserbecken direkt am Meiler gelagert. Mehrfach setzten Richter dessen Abschaltung durch, weil bei Störfällen die mehr als einhundertfünfzigtausend Bewohner nächstliegender Orte nicht rasch in Sicherheit gebracht werden könnten. Bei einem Atomunfall, betonen angesehene Umweltpolitiker, wie das unangefochtene Öko-As der Arbeiterpartei, Einzelkämpfer Carlos Minc aus Rio de Janeiro, stirbt alle Welt auf der einzigen engen Küstenstraße wie in einem nuklearen Mauseloch, kommt nicht weg. Denn die Straße wird wegen Unterspülungen, Erdrutschen und Schlammlawinen immer wieder gesperrt. Siemens-KWU, die kreditgebenden deutschen Banken haben an Angra II satt verdient, der Meiler kostete zuletzt, statt geplanter 1,3 Milliarden Euro sage und schreibe rund zehn Milliarden, bei 25-jähriger(!)Bauzeit. Angra II wird sich deshalb nie amortisieren. Bis auf weiteres ist für Siemens-KWU mit Atomkraftwerken in Brasilien nichts mehr zu holen, gewisse Aussichten gibt es dagegen jetzt im Windkraftgeschäft. Einst warb SPD-Kanzler Schmidt kräftig für deutsche Siemens-AKW in dem Tropenland, jetzt tut Minister Trittin permanent selbiges für Windkraftwerke deutscher Unternehmen an der brasilianischen Atlantikküste. Ein sehr starker Partner ist dabei erneut Siemens-KWU, der die Innenausstattung, darunter das Herzstück, die Generatoren, für andere Firmen liefert, aber auch komplette Windparks errichtet. Und da spätestens wird verständlich, weshalb sich der grüne Minister ebenso wie andere führende SPD-Umweltpolitiker mit Kritik an den Konzernprodukten Angra II und III so zurückhalten.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.: