Berichte aus Brasilien
Problem Kleinwaffen: Banditenmilizen feuern mit Heeres-Maschinengewehren Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, der USA
von Klaus Hart

11/03
 
 
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Amnesty International und Oxfam zitieren Brasilien als Negativbeispiel im Weltvergleich
Sogenannte Kleinwaffen, wie Maschinengewehre und Handgranaten, sind laut UNICEF d i e Massenvernichtungswaffen der heutigen Kriege, machen den Mißbrauch von Kindern als Soldaten erst möglich, führen zum Tod von jährlich etwa einer halben Million Menschen. In Brasilien sterben im sogenannten unerklärten Bürgerkrieg durch Kleinwaffen pro Jahr mehr als vierzigtausend Personen - Banditenmilizen, aber auch die gefürchteten Todesschwadronen feuern vor allem mit Heeres-Maschinengewehren aus den USA, aus Deutschland, Italien und der Schweiz. Über zwanzig Millionen illegaler Kleinwaffen sind in Privat-bzw. Banditenhand. Trotz aller internationalen Bemühungen geht das illegale Geschäft auf Hochtouren weiter. Denn zum Entsetzen der schlechtausgerüsteten brasilianischen Polizei sind nun auch erstmals österreichische Maschinengewehre in die Hand der gefürchteten Gangstermilizen gelangt, die allein in Rio de Janeiro hunderttausende Bewohner der Slums terrorisieren.

Die Zuckerhutmetropole in diesen Tagen: Rivalisierende Banditenmilizen des organisierten Verbrechens, die in den riesigen Slums ihre Hochburgen haben, liefern sich Feuergefechte, aber auch heftige Schießereien mit der Polizei. Sogar die Stadtautobahn zum internationalen Flughafen muß deshalb immer wieder gesperrt werden. 

Durch verirrte Kugeln aus weittragenden ausländischen Maschinengewehren sterben in ganz Rio fast täglich Kinder, Frauen und Männer, Anfang Oktober sogar eine hochschwangere junge Frau. Im selben Monat werden an einem einzigen Tag ein nur acht Tage altes Baby, ein sechsundzwanzigjähriger Mann, eine zweiundsechzigjährige Frau beerdigt - alle drei Opfer dieser "balas perdidas". Dasselbe Drama auch in Millionenstädten wie Sao Paulo oder Salvador da Bahia. Mit Waffengewalt halten die Gangster ihr neofeudales Schreckensregime über die Slumbewohner aufrecht, verhängen sogar Ausgangssperren über ganze Viertel, rekrutierten zehntausende Heranwachsende als Kindersoldaten. In Rio wissen die Sicherheitsbehörden aus abgehörten Telefongesprächen, daß die global vernetzten Verbrecherkommandos jetzt erstmals mit dem österreichischen Armee-Universal-Gewehr HG 600 schießen und von dieser Waffe geradezu begeistert sind. Milizen des Mangueira-Slums, in dem eine der besten, traditionellsten Sambaschulen Rios beheimatet ist, loben die Feuerkraft und gute Handlichkeit, empfehlen das HG 600 ihren Komplizen. Daniel Krumholz, Österreichs Botschafter in Brasilien, nahm dazu auf Anfrage Stellung. Können die österreichischen Regierungsbehörden, aber auch die Waffenfirma Steyr ermitteln, wie diese Maschinengewehre zu den gefürchteten Gangsterkommandos gelangten?

"Nein - wir haben recherchiert und sind draufgekommen, daß in den letzten Jahren keine Gewehre nach Brasilien exportiert wurden. Zudem gehört diese Art von Gewehr, das HG 600, zum Kriegsmaterial - und das untersteht den Vorschriften des Kriegsmaterialgesetzes. Da wird jeder Antrag mit ganz besonderer Sorgfalt behandelt."

Rios Polizei konnte noch kein einziges Exemplar beschlagnahmen, dagegen seit Jahresbeginn über 290 leichte Heeres-Maschinengewehre der USA, vierundvierzig G 3 der deutschen Marke Heckler und Koch. Für Deutschland, so das Auswärtige Amt in Berlin, seien heute besonders die früher an Drittweltstaaten erteilten Produktionslizenzen ein Problem. Es sei unmöglich, den Handel mit diesen außerhalb Deutschlands hergestellten Waffen zu kontrollieren, die dann in Konflikten als vermeintlich deutsche Waffen auftauchen könnten. 

Nordamerikanische Ärzte mit Vietnam-Erfahrung mußten ihren brasilianischen Kollegen beibringen, wie man die neuartigen, schweren Schußverletzungen durch solche MGs behandelt. Der Schweizer Generalkonsul in Rio nannte es bedrückend, daß in der Zuckerhutmetropole Menschen mit Sig-Sauer-Sturmgewehren des schweizerischen Bundesheeres getötet würden. Doch wie fühlt sich der österreichische Botschafter jetzt - angesichts des Einsatzes österreichischer Kriegswaffen in Brasilien?

"Ich habe da überhaupt keine Gefühle dazu, denn ich weiß, daß wir so sorgfältig jeden einzelnen Antrag auf jede einzelne Waffe überprüfen, daß wir von österreichischer Seite, von unseren Rechtsgrundlagen her, von dem, was wir im Parlament beschlossen haben, wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen."

Im Oktober haben Amnesty International, Oxfam und das Internationale Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen(IANSA) eine weltweite Kampagne für einen internationalen Vertrag gestartet, der das völlig außer Kontrolle geratene Geschäft mit Maschinengewehren, Revolvern und Pistolen rigoros einschränken soll. Brasilien - größte lateinamerikanische "Demokratie", 13. Wirtschaftsnation - wurde dabei als Negativbeispiel herausgestellt. Obwohl das Land nur einen Anteil von zweieinhalb Prozent an der Weltbevölkerung habe, ereigneten sich dort acht Prozent aller Morde mit Feuerwaffen, werde alle dreizehn Minuten jemand erschossen. Auffällig ist die außerordentliche Verquickung des organisierten Verbrechens mit Polizei und Staat - nur zu oft gelangen Waffen und Munition aus den Kasernen zu den Banditenmilizen, lassen diese ihre Mitglieder in Armee-Spezialeinheiten ausbilden. In Sao Paulo wurde festgestellt, daß ein und dieselbe österreichische Steyr-Pistole innerhalb von zehn Jahren zwar viermal von der Polizei beschlagnahmt wurde, jedoch immer wieder bei den Gangstern landete. 

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.: